Das tägliche Leben in der Villa Borg – Eine Reise durch Zeit und Gesellschaft
Die Bewohner und ihre Rollen
Die Villa Borg war nicht nur Heimat einer wohlhabenden Familie, sondern auch Lebensraum für zahlreiche Bedienstete, Sklaven und Handwerker. Gemeinsam prägten sie das tägliche Leben, das von harter Arbeit und sozialen Ritualen bestimmt war.
Landwirtschaft und Handwerk
Auf den Feldern der Villa arbeiteten Bauern und Knechte, während in den Werkstätten Glas, Keramik und Metallwaren hergestellt wurden. Auch Viehzucht und der Handel mit regionalen Produkten spielten eine bedeutende Rolle.
Soziale Aktivitäten und Kultur
Das Leben in der Villa war geprägt von römischer Gastfreundschaft, Banketten und Feiern. Der Hausherr empfing Gäste in prächtigen Speiseräumen, während die Dienerschaft unermüdlich für das Wohl der Familie und Besucher sorgte.
Das tägliche Leben in der Villa Borg – Eine Reise durch Zeit und Gesellschaft
( The Villa Borg – images of a reconstructed Roman Villa in Saarland (Germany) FOLLOWING HADRIAN) (What was it like to live in an ancient Roman villa? - History Skills)
Die römische Villa Borg war eine ausgedehnte Villa rustica – ein Landgut, das zugleich luxuriöser Wohnsitz einer Oberschichtfamilie und Zentrum landwirtschaftlicher Produktion war. Ihre Gebäudeanlage bestand aus drei Flügeln um einen weiten Innenhof und erstreckte sich über mehr als 7,5 Hektar Fläche ( The Villa Borg – images of a reconstructed Roman Villa in Saarland (Germany) FOLLOWING HADRIAN).
Zum Villenkomplex gehörten repräsentative Wohnräume (pars domestica) ebenso wie Wirtschaftsgebäude, Stallungen und Werkstätten (pars rustica). Auf dem Gelände gab es Gärten, Weinreben und Getreidefelder, die von zahlreichen Arbeitskräften bewirtschaftet wurden (What was it like to live in an ancient Roman villa? - History Skills).
Eine massive Mauer mit einem Torhaus schützte das Anwesen; durch das Tor gelangte man in den Wohnbereich, der vom Wirtschaftshof getrennt war. Die Anlage verfügte über alle Annehmlichkeiten der römischen Zivilisation jener Zeit: ein eigenes Badehaus mit beheizten Räumen, eine Küche, Latrinen, Schlafgemächer, Festsäle und sogar eine Taverne für Gäste.
Im Badegebäude demonstrierte ein Hypokaustum-Heizsystem römischen Ingenieursgeist, indem es Warmluft unter den Fußboden leitete und so selbst in kühlen Wintern wohlige Wärme spendete (Römische Villa Borg – Wikipedia). In den Werkstätten stellten Handwerker Keramik, Glas und Metallwaren her – Techniken, die seit der Antike kaum verändert sind (Römische Villa Borg – Wikipedia).
Diese Erzählung verbindet historische Genauigkeit mit fiktiven Schicksalen.
Sie verfolgt einen Sommer im 3. Jahrhundert n. Chr. auf Villa Borg und verwebt den Alltag von Herren und Sklaven mit dramatischen Ereignissen. Durch Dialoge, Beschreibungen und innere Monologe entsteht ein lebendiges Bild des Lebens in der römischen Provinz – und zugleich werden Parallelen und Kontraste zu unserer modernen Welt sichtbar. Es ist eine Zeitreise, die vom Glanz römischer Kultur über menschliche Gefühle und Konflikte bis hin zum Blick aus der Gegenwart reicht.
Morgengrauen in der Villa Borg
Ein neuer Tag dämmert über den sanften Hügeln des Saar-Mosel-Landes, als die ersten Sonnenstrahlen den roten Ziegeldächern der Villa Borg einen goldenen Schimmer verleihen. Im leichten Frühnebel zeichnen sich die Umrisse des Anwesens ab: Der Torbau mit seinem hohen Bogen wacht majestätisch am Eingang, dahinter erstreckt sich der weite Innenhof mit einem dekorativen Wasserbecken und sorgfältig angelegten Beeten.
Auf der einen Seite liegt das prächtige Herrenhaus, gegenüber ein lang gestreckter Trakt mit Wirtschaftsräumen und Personalunterkünften. Vom Hof hört man bereits das Scharren von Hufen und leises Stimmengewirr – die Villa erwacht zum Leben.
Im einfachen Sklavenquartier, einem Seitenflügel nahe den Ställen, ist man noch vor Sonnenaufgang tätig. Felix, ein junger Stallknecht der Villa, streckt sich auf seinem harten Bett aus Stroh. Er tastet in der Dämmerung nach seiner Tunika. Wie jeden Morgen wird er als einer der Ersten gebraucht: Die Tiere müssen gefüttert, die Pferde gestriegelt, die Ochsen vor den Pflug gespannt werden, bevor die Hitze des Sommertages anbricht. Felix richtet sich auf, reibt den Schlaf aus den Augen und denkt einen Moment an den Traum, den er hatte – ein Traum von Freiheit, vage und verlockend. Doch das energische Rufen des Aufsehers Dama reißt ihn in die Wirklichkeit zurück. Dama, ein freigelassener Sklave und nun Verwalter der Villa, klopft bereits ungeduldig an die hölzerne Tür zum Quartier: „Aufstehen, ihr Faulpelze! Bei Jupiter, die Herrschaft wartet nicht!“
Während Felix hastig seine Sandalen bindet, machen sich auch andere Bedienstete fertig. Sabina, die junge Küchenmagd, schürt das Feuer im Backofen der Küche an, um Brot zu backen. Tertius, ein älterer Feldsklave, schultert bereits seine Hacke, um mit den anderen aufs Feld zu ziehen.
Ein paar Schritte weiter, im Herrenhaus, beginnt der Morgen weitaus gemächlicher und komfortabler. Im geräumigen Schlafzimmer mit den bunt bemalten Wänden – Fresken mit Szenen aus den Mythen der Götter schmücken den Putz – öffnet Julia, die Tochter des Hauses, die Augen. Das erste, was sie sieht, sind die Sonnenstrahlen, die durch das halb geöffnete hölzerne Fensterladen fallen und Muster auf den Terrazzoboden malen. Ein warmer Julimorgen kündigt sich an, und mit ihm ein weiterer Tag voller Pflichten – und verbotener Träume.
Julia lauscht einen Moment. Aus dem Innenhof dringen bereits die Laute des Betriebs: Hufgetrappel, Hundegebell und fernes Rufen. Dann vernimmt sie das vertraute Murmeln ihrer Mutter, Aurelia, die im Atrium des Herrenhauses die häuslichen Schutzgötter begrüßt. Aurelia steht vor dem Lararium, dem kleinen Hausaltar der Familie, und opfert ein wenig Wein und eine Prise Weihrauch den Laren und dem Penaten, den Göttern des Hauses und der Speisekammer. Im Schein einer Öllampe spricht sie leise ein Morgengebet auf Latein: „Möge dieser Tag der Familie Julius wohlgesinnt sein.“ Der Duft des Weihrauchs zieht durch das Atrium mit seinen marmornenen Säulen, wo in der Mitte ein offenes Dach die Morgensonne hereinscheinen lässt. Dort plätschert ein kleines Innenbecken mit frischem Quellwasser – ein Symbol für Reinheit und Leben im Haus. Aurelia schließt die Augen und denkt dabei auch an ihren verstorbenen kleinen Sohn, der vor einem Jahr an einem Fieber starb. Ein kurzer Schatten huscht über ihr Gesicht, doch sie sammelt sich rasch: Heute gilt es, nach vorn zu blicken – insbesondere auf das Wohl ihrer einzigen überlebenden Tochter Julia.
Währenddessen betritt Marcus, der Hausherr, den Innenhof. Marcus Julius Severus – wie er mit vollem Namen heißt – ist ein stattlicher Mann um die Fünfzig, mit kurz geschnittenem ergrautem Haar und entschlossener Miene.
Als Dominus der Villa Borg ruht alle Verantwortung auf ihm. An diesem frühen Morgen trägt er bereits seine Toga exigua, eine einfachere Toga für den Alltag, und begrüßt die ersten Knechte. „Salve, Tertius“, nickt er dem alten Feldarbeiter zu, der ehrerbietig stehen bleibt. Marcus hebt die Hand zum Gruß und mustert mit zusammengekniffenen Augen das Wetter: klarer Himmel, ein vielversprechender Sommertag. „Sorgt dafür, dass genug Leute bei der Ernte helfen.
Das Korn muss heute eingebracht werden, bevor der Regen kommt“, sagt er mit tiefer Stimme. Tertius antwortet respektvoll: „Natürlich, Herr. Wir beginnen sofort auf dem oberen Feld.“
Marcus‘ Blick wandert weiter. Felix führt gerade zwei braune Pferde aus dem Stall.
Ihre Felle glänzen, sorgfältig gebürstet. Marcus kennt jedes Pferd beim Namen – das linke ist Aquila, ein zuverlässiger Hengst, der rechte Niger, jünger und feuriger. „Felix!“, ruft Marcus und der junge Stallknecht eilt heran, den Kopf leicht gesenkt.
Marcus legt ihm die Hand kurz auf die Schulter – eine unerwartet vertrauliche Geste. „Sattle mir Aquila. Ich werde nach dem Frühstück zu den Pächtern im Nachbardorf reiten.“ Felix sieht dem Herrn in die Augen und nickt gehorsam: „Ja, Dominus. Aquila wird bereitstehen.“
Für einen Moment treffen sich ihre Blicke. Marcus erkennt die Loyalität – und auch Nervosität – in Felix’ Augen. Felix wiederum spürt das Gewicht der Verantwortung. Er weiß, Marcus gilt als strenger aber gerechter Herr, dem nichts entgeht. Wortlos macht er sich an die Arbeit, während Marcus weiter durch den Hof schreitet, gefolgt von Dama, der ihm nun die ersten Tagesberichte gibt: Wie viele Säcke Mehl aus der Mühle gestern geliefert wurden, ob der Schmied neue Hufeisen fertiggestellt hat und dass ein Händler aus der Stadt angekündigt ist, um Wein zu kaufen.
Alltag zwischen Herrschaft und Arbeit
Die #Villa Borg ist an diesem Vormittag ein Ort geschäftiger Betriebsamkeit, an dem jeder seinen Platz in der strengen sozialen Hierarchie hat. Oben stehen Marcus und seine Familie – die Herrschaft –, deren Wort Gesetz auf dem Gut ist. Darunter agieren Verwalter wie Dama und einige Freigelassene, ehemalige Sklaven, die ihre Freiheit erlangt haben und nun oft als Aufseher oder Handwerker weiter in der Villa tätig sind. Ganz unten stehen die zahlreichen Sklaven und Knechte: unsichtbar für die feine römische Gesellschaft, aber unerlässlich für das Funktionieren des Ganzen.
Ihre Hände melken die Kühe, pflügen die Felder, kochen das Essen und sorgen dafür, dass die prachtvollen Räume der Villa sauber und instandgehalten bleiben (What was it like to live in an ancient Roman villa? - History Skills) (What was it like to live in an ancient Roman villa? - History Skills).
In der Küche knetet Sabina Teig für das Brot des Tages. Ihre Hände sind vom Mehl ganz weiß, Schweißtropfen stehen ihr auf der Stirn vom Ofenfeuer, das die kleine Backstube wärmt. Auf dem breiten Holztisch liegen Kräuterbündel – Thymian, Koriander, Fenchel –, die heute für den Eintopf gebraucht werden. Aurelia, die Hausherrin, erscheint in der Küchentür. In ihrer rechten Hand hält sie ein bronzenes Gefäß mit Olivenöl, in der linken einen Korb frischer Feigen aus dem Garten.
„Guten Morgen, Sabina“, sagt sie mit sanfter Stimme. „Heute Abend werden Gäste erwartet. Wir brauchen dein bestes Brot und vielleicht deinen köstlichen Honigkuchen.“ Sabina verneigt sich leicht und lächelt stolz. „Natürlich, domina. Ich werde alles vorbereiten. Die ersten Laibe Brot kommen in einer Stunde aus dem Ofen.“ Aurelia legt das Öl und die Feigen ab. Einen Augenblick betrachtet sie die emsige Magd, die kaum älter ist als ihre eigene Tochter. Sie denkt daran, wie Sabina als Kind zusammen mit ihrer Mutter in den Dienst der Villa kam. Nun ist Sabina fast wie ein Mitglied der Familie – und doch bleibt sie eine Dienstbotin. Aurelia seufzt leise, wünscht gutes Gelingen und zieht sich zurück, um die Aufsicht über die übrigen Hausarbeiten zu führen.
Im Peristyl, dem von Säulengängen umrahmten Innenhof des Herrenhauses, sitzen inzwischen Julia und ihr Lehrer Philon an einem steinernen Tisch. Philon ist ein schlanker Grieche mittleren Alters, ein gebildeter pedagogus, den Marcus in Rom gekauft hat, um seinen Kindern eine gute Erziehung zu ermöglichen.
Vor Philon liegen einige Wachstafeln und ein Griffel aus Metall. Julia versucht, sich auf die Unterrichtsstunde zu konzentrieren, doch heute schweifen ihre Gedanken ab. „Also, Julia“, sagt Philon, während er mit dem Griffel ein Dreieck in die frische Wachsschicht ritzt, „kannst du mir die Winkelsumme in einem Dreieck nennen? Was lehrt uns Euklid?“ Julia zuckt zusammen – sie hat kein Wort verstanden. Verlegen streicht sie eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ähm, die Summe der Winkel… ist 180 Grad?“, antwortet sie leise und errötet, denn natürlich hat sie den exakten Begriff nicht parat.
Philon lächelt milde. „Wir verwenden hier keine Gradeinteilung, meine Liebe – aber richtig, zwei rechte Winkel entsprechen in unserem System der Winkelsumme. Anders gesagt: Die Summe beträgt 180 Grad, wie du sagst. Sehr gut.“ Er hat ihre Ablenkung bemerkt, doch er fährt sanft fort: „Weißt du, die Geometrie kann uns viel über Harmonie lehren. Die Römer – und die Griechen vor ihnen – glauben, dass sogar die Liebe einer gewissen Geometrie folgt.“ Julia runzelt die Stirn.
„Die Liebe und Geometrie?“, fragt sie skeptisch. Philon nickt weise: „Nun, vielleicht eher im übertragenen Sinne. Beziehungen zwischen Menschen sind wie Formen – manche fügen sich perfekt zusammen wie die Steine in einem Mosaik, andere passen nicht zueinander.
Und manchmal entstehen komplizierte Dreiecke…“ Sein Blick ruht bedeutungsvoll auf Julia. „…Dreiecke, in denen drei Personen verwickelt sind.“ Julia senkt ihren Blick auf die Wachstafel. Sie weiß, ihr Lehrer spielt darauf an, dass ihr Vater bereits einen möglichen Bräutigam für sie in Betracht zieht – den Sohn eines Senators in Trier. Sie selbst jedoch verspürt ganz andere Neigungen, die sie niemandem offenbaren darf.
Philon legt den Griffel beiseite. In einer sanfteren Stimme, fast wie ein Großvater zu seiner Enkelin, sagt er: „Julia, du bist heute nicht recht bei der Sache. Möchtest du darüber sprechen?“ Julia beißt sich auf die Lippe. Fast hätte sie sich geöffnet – Philon ist gütig und vertrauenswürdig.
Doch in diesem Moment taucht Marcus am Säulengang auf. „Philon, kommst du nachher zu mir, um die Bibliotheksliste durchzugehen?“, ruft Marcus. „Natürlich, Dominus!“, antwortet Philon prompt und steht auf. Der Moment der Vertraulichkeit ist verflogen. Marcus tritt näher. Er schaut erst den Lehrer, dann seine Tochter an. „Julia, meine liebe, ich hoffe, du nutzt die Zeit mit Philon.
Deine Mutter benötigt dich gleich beim Zuschnitt neuer Stoffe.“ – „Ja, Vater“, antwortet Julia artig und erhebt sich ebenfalls. Marcus lächelt flüchtig, streicht Julia übers Haar – eine Geste, die väterliche Zuneigung und auch Besitzanspruch verrät. „Gut. Philon, wir sprechen später.“ Damit dreht er sich um und eilt weiter, um sich seinen eigenen Geschäften zu widmen.
Julia schaut dem Vater nach. In ihrer Brust kämpfen Pflichtgefühl und ein aufkeimender Widerstand miteinander.
Mit einem Seufzen sammelt sie die Wachstäfelchen ein. Philon legt ihr kurz eine Hand auf den Arm und flüstert: „Kopf hoch, Julia. In jedem schwierigen Problem gibt es eine Lösung – manchmal eine unerwartete.“ Sie nickt dankbar, auch wenn sie die Worte jetzt noch nicht ganz versteht.
Dann macht sie sich auf den Weg ins Webzimmer, wo Aurelia bereits mit einigen Dienerinnen Stoffballen ausbreitet.
Während Julia und ihre Mutter im Halbschatten des Hauses mit purpurner Wolle und feinen Leinengarnen hantieren, geht draußen die Arbeit in der Landwirtschaft ihren Gang. Marcus hat inzwischen einen Imbiss eingenommen – Brot, Oliven und Ziegenkäse – und macht sich bereit, zu den Feldern zu reiten. Felix hat Aquila gesattelt und hält dem Herrn den Steigbügel.
Marcus schwingt sich auf den Pferderücken. „Bring auch den Wagen für die Ernte in Stellung“, weist er Felix an. „Heute holen wir den Weizen vom oberen Feld ein.“ Felix verbeugt sich: „Wird erledigt, Herr.
“ Mit einem sanften Schnauben setzt sich Aquila in Bewegung und Marcus reitet durch das Torhaus hinaus auf den Landweg, gefolgt von zwei bewaffneten Wachposten zu Fuß – sicher ist sicher, denn manchmal durchstreifen marodierende Banditen oder heimatlose Söldner die Gegend. Marcus und sein kleiner Trupp ziehen vorbei an den Weinbergen, in denen bereits die ersten Trauben reifen, und an Olivenbäumen, die hier nur dank römischer Anbaumethoden gedeihen. Bauern, die als Pächter für Marcus arbeiten, kommen ihm entgegen und grüßen respektvoll.
Auf den Feldern schwitzen die Erntehelfer.
Männer und Frauen schneiden mit Sicheln das goldene Getreide und binden es zu Garben. Einige sind freie Landpächter, andere Sklaven der Villa. Alle arbeiten Seite an Seite, doch nicht alle teilen dasselbe Schicksal: Die freien Bauern dürfen einen Teil der Ernte behalten, die Sklaven bekommen nur ihren kargen Anteil an Brot und Oliven.
Trotzdem hallen Lieder über das Feld – rhythmische Gesänge, die die Arbeit erleichtern. Marcus hält kurz an, um das Werk zu begutachten. Zufrieden stellt er fest, dass die Ernte reichlich ausfallen wird in diesem Jahr. „Ein guter Sommer“, meint er zu Quintus, dem Vorarbeiter (ebenfalls ein Freigelassener), der neben ihm steht. Quintus nickt: „Ja, Herr. Wenn die Götter uns gewogen bleiben, wird die Scheune voll.“ Marcus klopft ihm anerkennend auf die Schulter.
Er verspürt Stolz – sein Landgut floriert. Handel und Landwirtschaft greifen ineinander: Ein Teil des Getreides wird zu Brot für die #Villa Borg, ein anderer Teil auf dem Markt in der nahegelegenen Stadt Trier verkauft.
Ebenso werden die Amphoren mit dem schweren, süßen Mosel-Wein der Villa Borg bald mit Maultieren Richtung Trier gebracht, um dort Münzen in die Kasse der Familie zu spülen.
(image) Rekonstruktionsansicht der römischen Villa Borg: Der weitläufige Innenhof mit Zierbecken und der umschließenden Bebauung vermittelt eine Vorstellung vom herrschaftlichen Wohnbereich einer Villa rustica ( The Villa Borg – images of a reconstructed Roman Villa in Saarland (Germany) FOLLOWING HADRIAN). Solche Landsitze vereinten Luxus und Landwirtschaft – hier empfing die Familie Gäste in repräsentativen Hallen und genoss römischen Komfort, während unweit davon Stallungen, Werkstätten und Speicher das wirtschaftliche Rückgrat des Anwesens bildeten.
Während Marcus auf den Feldern seinen Verpflichtungen nachkommt, spielen sich innerhalb der Villa kleinere Szenen des Alltags ab, die viel über die Rollen der Bewohner verraten. Aurelia beaufsichtigt die Dienerinnen bei der Herstellung eines aufwendigen Wandteppichs – ein Projekt, das schon seit Monaten läuft. Das Weben feiner Textilien gehört zur Domäne der aristokratischen Frauen; es zeigt ihren Fleiß und Kunstsinn. Aurelia führt den Webkamm, um ein neues Fach im Gewebe zu öffnen, und Julia zieht mit geübter Hand den Schussfaden hindurch. Dabei erzählt Aurelia den jüngeren Frauen eine Anekdote aus Ovids „Metamorphosen“, in der Arachne zur Spinne wird, weil sie die Göttin Athene im Weben übertroffen hat. Die Mädchen kichern – diese Geschichte ist immer wieder spannend und warnt zugleich davor, übermütig zu werden.
Julia jedoch schweigt heute ungewöhnlich. Ihre Gedanken sind längst woanders: Sie fragt sich, ob Felix wohl schon zurück ist und ob sie einen Weg finden kann, ihn heute zu sprechen.
In der Schmiede am Rand des Wirtschaftshofs sprühen derweil Funken. Der Schmied, ein breitschultriger Sklave namens Brutus, hämmert glühendes Eisen auf dem Amboss zurecht.
Der Rhythmus des Hammers tönt laut und klar: Er formt neue Hufeisen und Ersatzteile für den Pflug. Schweiß tropft von seiner Stirn. Neben ihm arbeitet ein Lehrling, der den Blasebalg tritt, um das Feuer im Ofen anzuheizen. Der Raum riecht nach Rauch und heißem Metall. Plötzlich erscheint Felix in der Tür der Schmiede, auf der Suche nach Bruchbändern für den Erntewagen. Brutus grüßt knapp – er ist nicht sehr gesprächig, aber man respektiert einander als Kollegen im Dienst der Villa.
„Dama sagte mir, du hättest neue Nägel fertig?“, fragt Felix. Brutus nickt, löscht das glühende Eisen in einem Wasserbottich mit lautem Zischen und zeigt auf eine Kiste mit glänzenden Eisennägeln und Werkzeug.
„Nimm, was du brauchst. Und richte Dama aus, dass das Tor-Scharnier geflickt ist.“ Felix bedankt sich und greift nach den Nägeln.
Einen Moment beobachtet er, wie Brutus sich wieder ans Werk macht. Trotz der Härte ihres Daseins – Brutus wird sein Leben lang Eigentum der Familie bleiben – scheint der Schmied eine gewisse Zufriedenheit in seiner Arbeit zu finden, eine Meisterschaft im Handwerk, die ihm Stolz verleiht.
Felix beneidet ihn fast darum. Er selbst hat nur seine Jugend und seine Träume, doch keine solche Fertigkeit, mit der er einen Platz in dieser Welt erringen könnte.
Mit den Nägeln eilt Felix weiter zur Scheune, wo ein hölzerner zweirädriger Erntewagen bereitsteht. Zwei andere Knechte spannen bereits Maultiere davor. Die Mittagssonne steht hoch am Himmel.
Felix spürt die Hitze auf seinem Nacken, als er beginnt, eine lose Brettplanke am Wagen mit den neuen Nägeln zu befestigen. In dem Moment hört er leise Schritte hinter sich: Julia steht im Schatten der Scheunentür. Sie trägt ein einfaches weißes Leinenkleid, passend zur Wärme des Tages, und doch wirkt sie für Felix strahlender als jede feine Dame in Seide.
Er erschrickt beinahe – was tut sie hier, allein in der Nähe der Gesindebereiche? Wenn jemand sie so sieht und bemerkt, dass sie mit ihm spricht… Aber Julias Gesichtsausdruck verrät Entschlossenheit. „Felix“, flüstert sie. „Wir müssen reden.“ Felix legt den Hammer beiseite und schaut rasch umher – niemand sonst ist in der Nähe, die anderen Knechte sind um die Ecke. Sein Herz klopft schneller. „Hier? Jetzt?“ – „Ja, nur kurz“, sagt Julia leise und tritt näher, sodass sie im Dunkel der Scheune verborgen sind.
Einen Augenblick stehen sie sich gegenüber, und all die strengen Regeln von Stand und Anstand scheinen bedeutungslos.
Julia ergreift Felix’ Hand, die von der Arbeit rau und schwielig ist, aber für sie sanfter als jede seidenbekleidete Patrizierhand. „Ich habe dich heute kaum gesehen“, sagt sie fast ein wenig vorwurfsvoll und doch zärtlich. Felix schluckt.
„Die Arbeit…“, beginnt er, doch Julia schüttelt den Kopf: „Ich weiß. Die Pflichten rufen überall. Aber ich… ich wollte dich fragen, ob du heute Abend kommen kannst.“ Felix zieht die Augenbrauen hoch. Er weiß, was sie meint: das versteckte Treffen, das sie seit einigen Wochen praktizieren. Nachts, wenn alle schlafen, schleichen die beiden manchmal in den kleinen Hain hinter den Thermen, wo eine alte Eiche steht. Unter ihren Zweigen – geschützt vor neugierigen Blicken – haben sie ungestörte Momente geteilt, haben geredet, gelacht, und letzte Woche wagte Felix sogar, Julia vorsichtig zu küssen. Es war wie ein Traum. Doch jeder dieser Augenblicke ist auch gefährlich. Würde man sie erwischen, wären Schande und Strafe unausweichlich. Felix denkt an die Konsequenzen: Für ihn als Sklave könnte es den Tod bedeuten, für Julia den Rufverlust oder eine erzwungene schnelle Verheiratung weit weg.
„Bist du sicher, dass es heute geht?“, fragt er zögernd. Julia nickt eifrig. „Heute ist das Sommerfest. Alle werden müde vom Wein sein, selbst Vater wird nach dem Gelage tief schlafen. Es ist Neumond, also dunkel. Wir haben bessere Chancen.“
Felix atmet tief ein. Der Gedanke, sie heute Nacht zu sehen, lässt ein warmes Glück in ihm aufsteigen. „Ich werde da sein“, verspricht er mit leiser Stimme. Julia lächelt – dieses Lächeln, das für Felix heller scheint als alles Sonnenlicht. In diesem Moment, im Halbdunkel der Scheune, stehen sich zwei junge Menschen gegenüber, getrennt durch einen gewaltigen gesellschaftlichen Abgrund und doch vereint in einem Gefühl, das sie beide zum ersten Mal so stark empfinden.
Julia hebt die Hand und berührt vorsichtig Felix’ Wange, wo ein Rußfleck von der Schmiedearbeit klebt. „Pass auf dich auf“, flüstert sie. Felix umfasst sanft ihre Hand an seiner Wange. „Und du auf dich.“ Für einen Herzschlag nähern sie sich einander – doch plötzlich hören sie von draußen Damas Stimme, der nach Felix ruft. Hastig lassen sie voneinander ab.
Julia huscht zur Rückseite der Scheune hinaus, gerade rechtzeitig, bevor Dama um die Ecke kommt. Der Verwalter mustert Felix argwöhnisch.
„Was treibst du hier so lange?
Der Wagen sollte längst fertig sein!“ Felix senkt den Blick und versucht, ruhig zu bleiben. „Verzeiht,
Herr Dama. Ich musste passende Nägel suchen. Ich bin gleich fertig.“ Dama verengt die Augen, als suche er nach einem Anzeichen von Ungehorsam oder Ablenkung. Doch schließlich grunzt er nur: „Beeil dich. Und dann hilf Sabina, den Wein in die Krüge zu füllen für heute Abend.“ Dann stapft er davon.
Felix atmet aus. Das war knapp. Sein Herz schlägt noch immer wie wild, aber nicht vor Angst – sondern vor Freude und Sorge zugleich. Freude auf das Wiedersehen mit Julia in der Nacht, Sorge vor all den Dingen, die zwischen jetzt und dann schiefgehen könnten.
Ein Sommerfest voller Spannung
Der Tag neigt sich dem Abend zu, und in der Villa Borg laufen die Vorbereitungen für ein besonderes Ereignis: das Sommerfest zu Ehren der reichen Ernte und der Schutzgötter des Hauses.
In der römischen Welt gibt es viele Feste – vom strengen Staatskult bis zu ausgelassenen Volksfesten. Auf dem Landgut der Familie Julius begeht man alljährlich im Hochsommer ein eigenes kleines Erntedankfest, eine Mischung aus religiöser Zeremonie und geselligem Bankett. Marcus hat enge Freunde und benachbarte Gutsherren eingeladen, sogar ein hoher Beamter aus Augusta Treverorum (dem heutigen Trier) soll zu Besuch kommen. Für Marcus ist dies Gelegenheit, seinen Einfluss zu pflegen und vielleicht Julia als zukünftige Braut ins Gespräch zu bringen. Für die Bediensteten bedeutet es Arbeit bis zur Erschöpfung, aber auch die Chance, am Rande des Festes selbst gutes Essen abzubekommen und einmal Musik und Freude zu erleben.
In der Culina, der Küche, duftet es herrlich nach gebratenem Fleisch und Kräutern. Sabina überwacht einen großen Eintopf mit Linsen, Speck und Gemüse – ein deftiges Gericht für die Dienerschaft – während auf dem Spieß vor dem Herd ein ganzes Ferkel langsam überm Feuer dreht, bestrichen mit Honig und Gewürzen. Aurelia hat persönlich die Speisefolge festgelegt: Es wird als Vorspeise Feigen mit Käse und frischem Brot geben, dann als Hauptgang das Ferkel und Wildbret mit diversen Beilagen, und als Nachspeise ebenjenen Honigkuchen, den Sabina vormittags gebacken hat.
In der Ecke steht Marcellus, der Mundschenk – ein Sklave, dessen einzige Aufgabe es heute ist, den Wein zu mischen und auszuschenken. Er verdünnt den schweren roten Wein im Mischkrug mit etwas Wasser, ganz nach römischem Brauch (den ungemischten Wein zu trinken, gilt als unzivilisiert). Dann füllt er mehrere Krüge für den Speisesaal.
Die Sonne versinkt hinter den Wäldern, als die Gäste eintreffen. Fackeln und Öllampen erleuchten die Villa in warmem flackerndem Licht.
Im großen Triclinium, dem Speisesaal, hat man Liegen für die feinen Gäste aufstellen lassen, mit bunten Kissen belegt. Marcus trägt nun eine makellose weiße Toga, wie es sich für den Gastgeber gehört, Aurelia ein elegantes Stola-Gewand in Meergrün mit goldenen Fibeln auf den Schultern. Julia ist in ein fliederfarbenes Kleid mit Perlenstickereien gekleidet; ihr Haar hat man zu kunstvollen Zöpfen aufgesteckt.
Sie sieht dem Anlass entsprechend bezaubernd aus – doch innerlich fühlt sie sich wie im falschen Stück. Schon seit dem späten Nachmittag bemerkt sie, wie ihr Vater und auch Dama sie aufmerksam betrachten und jede ihrer Bewegungen verfolgen. Sie hat das Gefühl, als wüssten sie etwas… oder vielleicht ist es nur ihr eigenes schlechtes Gewissen, das ihr die Hitze ins Gesicht treibt.
(File:Dougga cup-bearers mosaïc.jpg - Wikimedia Commons) Ein römisches Mosaik aus dem 3. Jahrhundert zeigt Sklaven, die ihren Herren bei einem Bankett Speisen und Wein darreichen (File:Dougga cup-bearers mosaïc.jpg - Wikimedia Commons). Solche Szenen spiegeln den Luxus und die Hierarchie wider: Während die wohlhabenden Gäste auf Polstern liegen und feiern, stehen Sklaven bereit, um Wein aus Amphoren einzuschenken, Essen zu servieren und jeden Wunsch zu erfüllen.
Auch in der #Villa Borg gehörten Bankette zum gesellschaftlichen Leben der Oberschicht – und die Dienerschaft spielte dabei die unsichtbare, doch unverzichtbare Rolle im Hintergrund.
Das Bankett beginnt. Opfertiere – in diesem Fall zwei weiße Hähne – wurden zuvor am Altar im Hof der Göttin Ceres und dem Gott Liber geopfert, damit die Ernte und der Weinsegen andauern mögen.
Marcus hat eigenhändig etwas vom Blut der Tiere auf die Hausaltäre gesprengt und die Lebern der Hähne von einem haruspex (einem Wahrsager) prüfen lassen. Die Omen waren günstig, was Marcus nun frohen Mutes seinen Gästen mitteilt. Beim Klang der Tibia-Flöten und der klappernden Crotala (Kastagnetten) nehmen die Gäste ihre Plätze ein.
Es wird geredet und gelacht. Man lobt Marcus für die Qualität seines Weines, für die zarten Oliven und das knusprige Brot nach Rezepten des Apicius (eines berühmten römischen Gastrosophen). Marcus genießt das Lob, doch immer wieder schweift sein Blick zu Julia, die am Rande des Raumes neben Aurelia sitzt – für unverheiratete Frauen ist es nicht schicklich, mit den Männern zu liegen und zu trinken, sie bleiben etwas im Hintergrund. Neben Julia hat Marcus einen jungen Mann platziert: Lucius Valerius, den Sohn eines befreundeten Senators. Lucius, gekleidet in eine feine Tunika mit Purpurstreifen, bemüht sich sichtlich um Julias Aufmerksamkeit.
Er erzählt von den Wagenrennen in Trier und von seinem letzten Besuch in Rom. Julia lächelt höflich, antwortet knapp, doch ihr Herz ist nicht bei ihm. Ihre Gedanken schweifen zu Felix. Er ist natürlich ebenfalls hier im Saal – aber als einer der Diener.
Julia sieht, wie Felix zusammen mit Marcellus einen schweren Weinkrug trägt. Ihre Blicke kreuzen sich einen Moment, als Felix an ihr vorbeigeht, um Lucius Valerius den Becher nachzufüllen.
Felix kann es nicht vermeiden, das Gespräch zwischen Lucius und Julia mitanzuhören. Als Lucius etwas zu nahe an Julia heranrückt, spürt Felix einen Stich der Eifersucht. Doch er bleibt professionell und stumm, seine Miene reglos, wie man es von einem guten Diener erwartet.
Die Stimmung auf dem Fest steigt mit jedem Gang und jedem Becher Wein. Bald schon sind die Zungen locker. Einer der Nachbarn – ein beleibter Gutsbesitzer namens Publius – prostet in die Runde: „Auf Marcus Julius und seine prächtige Villa! Mögen die Götter ihm weiterhin fette Ernten bescheren!“ Ein vielstimmiges „Prosit!“ und „Bene!“ folgt, als die Männer ihre Becher erheben.
Marcus lächelt zufrieden. Er ist in seinem Element, thront gleichsam als großzügiger Patron inmitten seiner Klientel.
Nicht nur Freude, auch ein Geheimnis liegt in der Luft. Während der Nachbar spricht, tritt Dama an Marcus’ Seite und flüstert ihm etwas ins Ohr. Marcus’ Lächeln gefriert einen Augenblick; er runzelt die Stirn und nickt kaum merklich, als Zeichen, verstanden zu haben. Was hat Dama ihm berichtet? Julia beobachtet diese kleine Szene argwöhnisch, denn sie hat bemerkt, wie Dama sie und Felix den ganzen Abend im Auge behält. Tatsächlich trägt Dama schon länger einen Verdacht in sich: Ihm sind die verstohlenen Blicke zwischen der jungen Herrin und dem Stallknecht nicht entgangen, und vorhin hat er gesehen, wie Julia in der Küche heimlich einen Teller Essen beiseite stellen ließ – Speisen, die dann später verschwanden, vermutlich damit Felix auch etwas vom Festmahl hat.
Dama ist ein Mann, der Ordnung und Abstand wahrt. Zwar verdankt er Marcus einst seine Freiheit, aber umso mehr ist er bedacht, das Vertrauen des Herrn zu rechtfertigen. Also hat er – in pflichtbewusster Sorge, wie er sich einredet – Marcus zugeflüstert, dass Julia sich merkwürdig verhalte und man ein wachsames Auge haben solle. Marcus nahm die Warnung ernst. Er ist kein Mann, der sich leicht etwas vormachen lässt.
Auch ihm ist nicht entgangen, wie Felix sich in Julias Nähe bewegt. Ein eiskalter Gedanke hat sich in sein Herz geschlichen: Sollte seine Tochter etwa…? Nein, das darf nicht sein. Unauffällig beobachtet Marcus nun selbst die beiden schärfer.
Nach dem Hauptgang fordert Marcus die Gäste und Familienmitglieder auf, mit ihm im Innenhof frische Luft zu schnappen und den Nachtimmel zu betrachten – angeblich, um ihnen die neu angelegte Rosengartenterrasse zu zeigen. In Wahrheit will er Julia von Felix trennen und ein klärendes Wort mit dem Stallknecht sprechen. Er ruft: „Felix, bring Fackeln in den Garten!“ Julia’s Herz setzt einen Schlag aus. Sie ahnt nichts Gutes. Die Gesellschaft erhebt sich und schlendert plaudernd in den abendlichen Garten, wo zwischen Säulen und Buchsbaumhecken Marmorstatuen und Rosensträucher zu erkennen sind. Felix folgt dem Befehl seines Herrn, nimmt zwei brennende Fackeln vom Eingang und platziert sie im Garten, um Licht zu spenden.
Als er an Marcus vorbeigehen will, legt dieser ihm plötzlich eine Hand auf den Arm. „Bleib einen Moment, Felix“, sagt Marcus scheinbar gelassen. Die übrigen Gäste sind ein paar Schritte weiter, schon abgelenkt von Aurelias Erklärungen zu den Rosen. Marcus und Felix stehen etwas abseits unter einer Arkade. Dama hält respektvoll Abstand, aber ist in Rufweite. Julia beobachtet aus der Ferne angespannt, wie ihr Vater mit Felix redet, doch sie kann die Worte nicht hören.
Marcus fixiert Felix mit durchdringendem Blick. „Wie lange bist du schon bei uns, Felix?“, fragt er leise. Felix überrascht von der Frage, antwortet rasch: „Seit zehn Jahren, Dominus. Seit ich zwölf Jahre alt bin.“ Marcus nickt. „Ich erinnere mich noch, wie du hier ankamst – ein dünner, verängstigter Junge, den ein Händler aus Gallien mitbrachte. Wir haben dich aufgezogen, dich hier leben und arbeiten lassen.“ Seine Stimme hat einen scharfen Unterton bekommen.
Felix spürt, dass dies kein beiläufiges Gespräch ist. „Ich… ich bin sehr dankbar, Herr“, sagt er vorsichtig. Marcus tritt einen Schritt näher, spricht nun noch leiser: „Ja. Dankbar und gewissenhaft, so dachte ich immer. Doch nun frage ich mich, ob du unsere Gastfreundschaft nicht missbrauchst.“ Felix’ Mund wird trocken. „Herr? Ich verstehe nicht…“ Marcus schnellt mit der Hand vor und greift Felix fest am Kinn, zwingt ihn, den Blick zu heben. „Oh, ich glaube sehr wohl, dass du mich verstehst. Meinst du, mir entgeht, wohin deine Augen wandern? Wohin deine Gedanken schweifen?“ Marcus’ Stimme zittert vor unterdrücktem Zorn. „Lass dir das ein für alle Mal gesagt sein, servus: Meine Tochter ist kein Umgang für dich. Halte dich von ihr fern – oder du wirst es bitter bereuen.“
Felix spürt einen stechenden Schmerz in der Brust – Mischung aus Angst, Scham und trotziger Verzweiflung. Er möchte etwas erwidern, doch er weiß, jede falsche Silbe könnte sein Ende bedeuten. Also presst er nur hervor: „Ja, Dominus.“ Marcus lässt sein Kinn los und funkelt ihn an. „Gut. Kehre nun zum Fest zurück und benimm dich unauffällig.
Morgen sehen wir weiter.“ Felix senkt den Kopf und tritt rückwärts weg, so demütig er kann, obwohl in ihm alles schreit. Marcus wendet sich ab, atmet tief durch, bemüht sich, seine Fassung wiederzugewinnen, bevor er zu den Gästen zurückkehrt. Julia hat die kurze Konfrontation aus der Ferne gesehen. Sie erschaudert; nie zuvor hat sie ihren Vater so aufgebracht gesehen. Als Felix wieder ins Haus geht, folgen ihre Augen ihm voller Sorge. Irgendetwas ist vorgefallen.
Drinnen wird nun das Dessert aufgetragen, aber die ausgelassene Stimmung hat für zwei Menschen einen deutlichen Knacks bekommen: Marcus trinkt nur noch sparsam vom Wein und beobachtet Julia wie ein Falke, und Julia selbst bekommt keinen Bissen hinunter, weil sie Angst um Felix hat.
Felix tut indes seine Pflicht und serviert mit stoischer Miene den Honigkuchen. Doch innerlich hat Marcus’ Drohung ihn erschüttert – und zugleich einen Entschluss in ihm reifen lassen: So kann es nicht weitergehen. Entweder, er muss Julia vergessen… oder er muss einen Weg finden, diesem unfreien Dasein zu entkommen. Und Julia? In ihrem Kopf toben die Gedanken. Eben noch hatte sie gehofft, diese Nacht würde ein zärtliches Abenteuer bringen – nun scheint es, als hätte ihr Vater dunkle Ahnung geschöpft. Aber sie will sich ihre Liebe nicht nehmen lassen, nicht so einfach.
Als die Gäste spät in der Nacht schließlich aufbrechen oder in bereitgestellten Gästezimmern ruhen, kehrt relative Ruhe ein. Draußen zirpen die Grillen. Dama beaufsichtigt, wie Knechte die Reste aufräumen.
Marcus hält einen letzten kurzen Abschiedstrunk mit dem Beamten aus Trier, dann zieht er sich erschöpft zurück. Aurelia, die die Spannung zwischen ihrem Mann und ihrer Tochter spürt, legt Julia fürsorglich einen Arm um die Schulter. „Geh schlafen, mein Kind. Es war ein langer Tag“, sagt sie sanft. Julia nickt nur stumm.
Sie umarmt ihre Mutter, länger als sonst, so als wolle sie Kraft daraus ziehen. Dann geht sie in ihre Kammer.
Die Villa versinkt in Dunkelheit. In der Ferne ruft eine Eule. Felix liegt auf seiner Pritsche im Knechtsquartier, den Blick zur Decke gerichtet, wo Mondlicht durch ein kleines Fenster fällt.
Sein Herz ist schwer. Des Dominus’ Worte hallen nach: „Halte dich von ihr fern – oder du wirst es bereuen.“ Felix ist klar, dass Marcus nicht zögern wird, ihn schlimmstenfalls hart zu bestrafen oder wegzugeben, sollte er Julia noch einmal in die Nähe kommen.
Soll dies das Ende sein? Soll er Julia nie wieder nahe sein dürfen? Er ballt die Fäuste. Ein Leben ohne die Hoffnung, ihr eines Tages nahe sein zu können, erscheint ihm öder als der Tod. In seiner Brust beginnt sich ein rebellischer Funke zu regen.
Im Haus liegend, weint Julia leise in ihr Kissen. Noch weiß sie nicht genau, was ihr Vater Felix gesagt hat, aber sie spürt die drohende Gefahr. Vielleicht sollte ich weglaufen, schießt es ihr durch den Kopf. Fort von hier, irgendwohin, wo niemand mich kennt. Lieber arm und frei mit Felix, als reich und gefangen. Dieser Gedanke – kühn und verrückt – gibt ihr paradoxerweise etwas Hoffnung.
Sie könnte es tun. Sie könnte mit ihm fliehen. Hat sie den Mut? Julia wischt sich die Tränen ab. Dann steht sie entschlossen auf und schleicht lautlos durch den Flur. Im ehemaligen Zimmer ihres kleinen Bruders – das nun leer steht – hebt sie eine Diele an, wo sie einige wertvolle Münzen versteckt hat, kleine Ersparnisse aus Geschenken der Verwandtschaft. Eine Handvoll römischer Denare klimpert leise in ihrer Hand.
Sie steckt sie in den Saum ihres Kleides. Draußen vor dem Fenster sieht sie die Krone der alten Eiche im Hain sich im Nachtwind wiegen. Der Himmel ist tatsächlich mondlos dunkel. Jetzt oder nie, denkt sie und tritt hinaus in die Nacht.
Aufruhr in der Nacht
Um Mitternacht herrscht Stille in der Villa Borg.
In den Gemächern der Herrschaft löschen die letzten Lampen; Marcus, angetrunken und müde, ist in tiefen Schlaf gefallen. Nur die Grillen und ab und zu das Schnauben eines Pferdes durchdringen die Dunkelheit. Felix hat kein Auge zugetan. Schließlich hält er es nicht mehr aus – er muss Julia sehen, wenigstens um sicherzugehen, dass es ihr gut geht, und vielleicht um Abschied zu nehmen, falls er doch fortgeschickt wird. Vorsichtig erhebt er sich von seiner Pritsche. In der selben Kammer schlafen drei andere Stallburschen, aber die schnarchen nur leise.
Barfuß und die Schuhe in der Hand schleicht Felix hinaus. Er kennt jeden Pfad im Halbdunkel. Lautlos huscht er vorbei an der Scheune und den leeren Ställen, Richtung Thermen und dem dahinterliegenden Hain, wo sie sich immer treffen. Mit klopfendem Herzen nähert er sich der alten Eiche.
Julia wartet bereits dort, umhüllt von einem dunklen Umhang. Als sie Felix’ Umriss erkennt, läuft sie ihm entgegen. Ohne ein Wort fallen sie einander in die Arme. Einen Moment lang gibt es nur dieses Halten, Atmen, Erleichtert-Sein. Dann flüstert Julia: „Was hat er dir angetan?“ Felix schüttelt den Kopf. „Nichts – noch nicht.
Er hat mich gewarnt. Er weiß von uns, Julia.“ Sie schaudert. „Ich habe es geahnt. Sein Blick… oh Felix, was sollen wir tun? Er wird dich bestrafen, mich vielleicht fortschicken.“ Felix nimmt ihr Gesicht in beide Hände. „Ich lasse das nicht zu. Eher – eher laufen wir weg.“ Er staunt über sich selbst, dass er das ausspricht, was beide schon dachten. Julia nickt heftig. „Ja! Weg von hier.
Ich habe ein paar Münzen. Wir könnten nach Trier, uns dort… verstecken oder weiter nach Gallien. Irgendwohin, wo uns keiner kennt.“ Ihre Stimme ist eifrig, doch auch bebend vor Angst. Felix streicht ihr über die Wange. „Trier… das ist eine große Stadt. Vielleicht könnte ich Arbeit finden als Stallbursche in einer Mansio (Herberge) oder so. Aber – man würde dich suchen. Deine Familie würde es nicht auf sich beruhen lassen.“ Julia lächelt traurig. „Mir ist alles egal ohne dich.
Ich halte es hier nicht aus, wenn du weg bist.“ Felix schließt kurz die Augen, überwältigt vom Schmerz dieser Vorstellung. Er spürt, wie ernst es ihr ist. Es ist ein unmöglicher Plan, aber vielleicht ihre einzige Chance. „Wann?“, fragt er leise. Julia atmet zittrig ein. „Am besten sofort, bevor Vater wieder misstrauisch wird. Die Wege sind dunkel.
Wir nehmen zwei Pferde.“ – „Pferde stehlen?“, Felix zögert. Als Stallknecht weiß er, dass das als schwerer Diebstahl gilt. „Es sind seine Pferde…“ Julia flüstert eindringlich: „Wir leihen sie nur. Lieber eine wütende Familie als…“ Sie bricht ab, denn plötzlich knackt ein Zweig hinter ihnen.
Felix fährt herum. Aus dem Schatten der Bäume tritt eine Gestalt: Tertius, der alte Feldsklave. Er hebt beschwichtigend die Hände. „Schhhh, ich bin es nur“, sagt er mit rauer Stimme.
Felix atmet etwas auf, aber bleibt angespannt: „Tertius… was machst du hier?“ Der Greis tritt näher. In dem fahlen Licht erkennt man sein vom Wetter gegerbtes Gesicht. „Ich konnte nicht schlafen. Die Knochen…“ Er deutet auf einen Korb in seiner Hand. „Ich sammele nachts manchmal Kräuter für meinen Tee.“ Offensichtlich war er Zeuge eines Teils ihres Gesprächs. Julia senkt verlegen den Kopf, doch Tertius lächelt milde. „Ihr Jungen müsst vorsichtig sein.
Man hat ein Auge auf euch.“ Felix spürt Scham – sie waren unvorsichtig. „Hast du uns belauscht?“, fragt er direkt. Tertius zuckt die Schultern. „Nicht mit Absicht, Junge. Aber ich habe genug gehört.“ Er legt Julia eine Hand auf den Arm. „Ihr wollt fortlaufen. So weit kommt es also.“ Julia will protestieren, aber Tertius schüttelt den Kopf.
„Schon gut. Ich mache euch keinen Vorwurf. Ihr wisst, was euch hier erwartet – und was nicht. Hört: Ich bin alt. Mein Leben ist fast gelebt. Aber eures – eures fängt erst an.“ Felix und Julia schauen ihn überrascht an. In Tertius’ Augen liegt ein ungewöhnliches Funkeln. „Vor vielen Jahren“, fährt der Greis fort, „hatte ich selbst eine Liebe.
Eine Sklavin aus dem Nachbargut. Wir trafen uns heimlich. Wir planten zu fliehen… doch wir hatten nicht den Mut. Sie wurde irgendwann verkauft, weit weg. Mein Herz brach, und ich bin seitdem hier geblieben, auf diesem Stück Erde, Tag für Tag.“ Er seufzt. „Manchmal frage ich mich, was aus uns geworden wäre, wenn wir es gewagt hätten.“ Nun blickt er Felix an. „Ihr habt den Mut. Ich werde euch helfen.
“ Julia ist den Tränen nahe und ergreift Tertius’ hand. „Oh Tertius…“ Felix jedoch bleibt vorsichtig: „Wenn man dich erwischt, wirst du hart bestraft.“ – „Pah!“ Tertius winkt ab. „Was will man mir noch nehmen? Meine Jugend? Meine Freiheit? Die hab ich längst verloren. Aber euch kann ich vielleicht retten.“
Schnell flüstert der alte Mann seinen Plan: Er wird zum Stall gehen und zwei Pferde leise herausführen. Felix soll derweil zum Vorratskeller schleichen und etwas Proviant schnappen – getrocknete Würste, Brot, einen Wasserschlauch.
Julia soll in der Zeit zurück ins Haus und sich wärmere Kleidung und einen Umhang holen, sowie ein Bündel mit ein paar Habseligkeiten (und vor allem die Münzen). In einer halben Stunde wollen sie sich bei der kleinen Pforte hinter dem Weingarten treffen – dort, wo ein verborgener Weg ins Waldtal führt, den kaum jemand kennt außer den Alten.
Kaum haben sie sich geeinigt, werden sie jäh unterbrochen: Von der Richtung der Villa her hören sie plötzlich aufgeregte Rufe und Lichtschein – Fackeln bewegen sich im Hof. Offenbar ist etwas entdeckt worden. Felix, Julia und Tertius erstarren und spähen durch die Bäume. Sie erkennen Damas scharfe Stimme: „Durchsucht das Gelände! Bringt Fackeln, los!“ Offensichtlich hat man Julias leeres Bett bemerkt oder Felix’ Fehlen oder beides.
Vielleicht hat Dama kontrolliert. Das leise Komplott der Liebenden ist aufgeflogen, bevor es richtig begann. „Wir müssen sofort los!“, zischt Julia. Tertius nickt. „Ändert nichts am Plan, nur schneller. Geht! Ich hole die Pferde jetzt.“ Ohne ein weiteres Wort humpelt er erstaunlich behände davon, im Schatten bleibend. Julia ringt Felix kurz die Hand. „Bis gleich… pass auf dich auf.“ – „Du auch.“ Dann trennen sie sich: Julia schlüpft zurück Richtung Haus, Felix umkurvt den Hain, um von der Rückseite her an den Vorratskeller zu kommen. Im Hof sind inzwischen Marcus und Aurelia ebenfalls aufgewacht.
Marcus ist wütend und besorgt zugleich. Er hatte aus Ahnung Julias Kammer prüfen lassen – sie war leer. Ebenso war Felix’ Schlafstatt leer. Sofort dachte Marcus das Schlimmste: Die beiden wollen fliehen oder Schlimmeres. Nun sind mehrere Wachen und Sklaven mit Fackeln unterwegs, jedes Gebüsch wird beleuchtet.
Felix schafft es zum Lagerraum. Er tastet im Dunkeln nach einem Leinensack und stopft eilig ein Brot, getrocknete Datteln und eine kleine Lederhaut mit Wein hinein. Schritte nähern sich – schnell huscht er hinaus und drückt sich flach an die Mauer, während zwei Sklaven mit Laternen vorbeilaufen.
Das Herz schlägt ihm bis zum Hals. Der Weg zum Weingarten-Pforte scheint abgeschnitten, denn dort brennt bereits eine Laterne – Dama postiert gerade einen jungen Wachmann an diesem offensichtlichen Ausgang. Felix erkennt: Sie haben die möglichen Fluchtwege erfasst. Der Stall! denkt er. Vielleicht hat Tertius die Pferde durch den Hinterausgang des Stalls nach draußen gebracht. Felix beschließt, über die Mauer im Stallbereich zu klettern, wo es dunkler ist.
Julia hat derweil ihr Zimmer wieder erreicht. Doch anstatt noch etwas zu holen, trifft sie auf ihre Mutter im Flur. Aurelia flüstert erschrocken: „Julia, was machst du um diese Zeit draußen? Dein Vater–“ Julia fällt ihr ins Wort, umarmt sie fest und sagt mit tränenerstickter Stimme: „Mutter, verzeih mir… ich muss gehen.“ Aurelia will protestieren, doch als sie die Verzweiflung in Julias Augen sieht, verstummt sie.
Vielleicht versteht die Mutter im Innersten, was die Tochter antreibt – vielleicht ahnt sie es seit Langem. Tränen laufen Julia übers Gesicht. „Ich liebe ihn, Mutter. Ich kann ohne ihn nicht glücklich sein.“ Aurelias Gesicht zittert. Sie streicht Julia durchs Haar. „Mein Kind…“ Mehr bringt sie nicht hervor. In diesem Moment ertönt Marcus’ zorniger Ruf von unten: „Julia! Bist du da oben?“ Die Zeit drängt. Julia löst sich. „Leb wohl, Mutter. Bitte sag Vater…“ – „Julia, nein!“ Aurelia versucht sie zurückzuhalten, doch Julia ist schneller.
Sie läuft den Nebenflur entlang und die Küchenstiege hinab, bevor Marcus im Schlafgewand oben ankommt. Aurelia wischt sich hastig die Tränen weg, tritt vor ihren Mann, um ihn aufzuhalten: „Sie war kurz bei mir, Marcus, beruhige dich…“ – „Wo ist sie?!“, blafft Marcus und schiebt Aurelia beiseite. Doch Julia ist schon im Dunkel verschwunden.
Hinter dem Stall trifft Felix auf Tertius, der es geschafft hat, zwei Pferde aus dem Gehöft zu führen. Es sind Aquila – Marcus’ Lieblingshengst – und Niger, beide gesattelt.
„Mehr hab ich nicht bekommen in der Eile“, keucht Tertius. Felix ist beeindruckt: Der alte Mann hat wirklich Wort gehalten. Schnell befestigt er den Proviantsack am Sattel. „Julia kommt gleich!“ flüstert er hoffnungsvoll. Da hören sie plötzlich aufgebrachte Stimmen: Marcus hat im Hof Julia erspäht, wie sie Richtung Stall rennt. „Bleib stehen!“, brüllt er. Julia aber rennt um ihr Leben, der Umhang flattert hinter ihr her. Dama und ein Wachmann nehmen die Verfolgung auf. Julia erreicht die Stallecke, wo Felix und Tertius in der Dunkelheit warten. „Hier!“, hisssst Felix und streckt die Hand.
Julia stolpert in seine Arme. Keine Zeit für Wiedersehen – Felix hebt sie sofort auf Aquilas Rücken. Er springt hinterher und greift die Zügel. Tertius hält Niger und brüllt: „Los, reitet! Ich schlag mich durch!“ Ohne Vorwarnung treibt der alte Mann plötzlich Niger – das reiterlose Pferd – laut wiehernd in Richtung der heraneilenden Dama und des Wachmanns, wodurch diese zur Seite springen müssen.
Gleichzeitig schwingt Tertius seinen Stock und trifft den Wachmann an der Schulter, sodass die Fackel zu Boden fällt und er strauchelt. Im flackernden Licht erscheint Marcus mit gezogenem Schwert. „Verrat!“ schreit er, außer sich, als er Felix und Julia auf seinem eigenen Pferd erblickt. „Haltet sie auf!“ Dama rafft sich und versucht, Niger einzufangen, während Marcus wutentbrannt auf Aquila zustürmt, um die Zügel zu packen. Felix spürt den tödlichen Ernst – er gibt Aquila die Sporen.
Das Pferd scheut seitwärts und schlägt aus. Marcus wird beinahe von den Hufen getroffen und muss zurückweichen, sonst hätte ihn sein eigener Hengst niedergetrampelt. Aquila prescht davon, hinaus durch das offene Tor des Wirtschaftshofs in die Nacht. Julia klammert sich an Felix, Tränen und Wind im Gesicht. Sie sind frei! Zumindest vorerst.
Hinter ihnen bleiben Chaos und Aufruhr zurück. Marcus stürzt, als Aquila an ihm vorbei bricht, und schlägt hart auf die Pflastersteine. Für einen entsetzlichen Moment glaubt Aurelia, die hinterhergeeilt ist, dass ihr Mann schwer verletzt sei.
Doch Marcus kommt mit ein paar Prellungen davon; voller Zorn richtet er sich auf. „Nach ihnen!“, keucht er, doch Aquilas Galoppgeräusche verhallen bereits in der Ferne. Dama und die Wachleute sind zu Fuß, Niger ist entlaufen – die Verfolgung scheint aussichtslos im Moment. Wutschnaubend sieht Marcus zum Tor hinaus, wo im Dunkel nichts mehr zu erkennen ist. Aurelia legt zitternd eine Hand auf Marcus’ Arm. „Lass sie gehen… bitte.“ Marcus starrt sie an, fassungslos. „Du wusstest es? Und du sagst das?!“ Aurelia hat Tränen in den Augen. „Sie ist unsere Tochter…“ Marcus stößt einen unartikulierten Laut aus, eine Mischung aus Schmerz, Zorn und ohnmächtiger Frustration.
Die Tatsache, dass Aurelia anscheinend Mitgefühl mit der Fliehenden hat, trifft ihn unerwartet. Er reißt sich los und wendet sich an Dama: „Wir holen sie zurück. Bei Tagesanbruch schickst du Reiter nach allen Richtungen.“ Dann schleudert er sein Schwert wütend auf den Boden. „Dieser Verbrecher entführt mein eigen Fleisch und Blut! Das werde ich ihnen niemals verzeihen.“
In einer Ecke des Hofes lehnt Tertius, der alte Sklave. Der Tumult hat sich gelegt, keiner achtet momentan auf ihn. Er blickt gen Himmel, wo ein paar Sterne hervorgekommen sind.
Leise murmelt er ein Gebet – nicht zu Jupiter oder Mars, sondern zu einer unbekannten gütigen Macht: Mögen sie es schaffen. Dann lächelt er in sich hinein. Sein Teil ist getan.
Verlust, Wandel und Ausklang
Der nächste Morgen überzieht die Villa Borg mit einem fahlen Licht. Eine ungewohnte Stille liegt in der Luft, fast wie nach einem Unwetter. Die Geschehnisse der Nacht haben alle erschöpft: Marcus hat kaum geschlafen.
Wut, Scham und Sorge nagen an ihm. Noch vor Tagesgrauen hat er Boten auf den Weg geschickt – einer ritt Richtung Trier, ein anderer die Mosel abwärts, mit dem Auftrag, nach einer jungen Frau in Begleitung eines jungen Mannes zu fahnden.
Doch tief im Herzen ahnt Marcus, dass Julia klüger ist, als direkt in die Stadt zu fliehen. Vielleicht hat sie die Wälder genommen, überlegt er ruhelos. Das Gut kommt ihm heute leer vor, trotz all der Menschen, die ihrer Arbeit nachgehen.
Seine geliebte Tochter, fort mit einem Sklaven – es erscheint ihm fast wie ein böser Traum, doch die Realität holt ihn jedes Mal ein, wenn er Julias Lachen in Gedanken hört.
Aurelia sitzt im Atrium am Altar und hat drei Öllampen entzündet – für jeden der Götter, die sie um Beistand anfleht. Ihre Augen sind rot vor Weinen, doch ihre Stimme ist fest: „Juno, große Beschützerin der Frauen, steh meiner Julia bei. Merkur, führe ihre Schritte auf sicheren Pfaden. Und Mars, halte die Verfolger fern.“ Sie opfert ein paar getrocknete Rosenblätter, die Julia so mochte, in die Flamme, dann verharrt sie in stiller Meditation. Sie weiß, dass Marcus dies als Verrat sehen würde, aber Aurelia’s Mutterliebe ist stärker als alle Konvention.
In ihrem Herzen hofft sie, Julia möge ein Leben finden, das glücklicher ist als das, was hier ihrer geharrt hätte – auch wenn der Preis der Verlust ist.
Gegen Mittag kehrt einer der ausgesandten Männer zurück: Ohne Erfolg, keine Spur auf den Straßen. Marcus schickt ihn gleich weiter in ein anderes Dorf.
Der zweite Bote kommt erst am Abend mit ähnlicher Nachricht. Marcus’ Anspannung wächst, doch er verbirgt sie hinter einer Maske aus grimmiger Geschäftigkeit. Er lässt Dama alle Sklaven im Hof antreten. In einer Ansprache voller Zorn stellt er klar, dass Verrat und Flucht auf seinem Gut nicht geduldet werden.
Ein jüngerer Sklave, der wohl etwas zu neugierig geschaut hat, wird von Marcus eigenhändig mit dem Stock geschlagen – ein Ventil für seine ohnmächtige Wut. Die anderen ducken sich. Tertius erhält überraschend keinen Tadel, obwohl man hätte argwöhnen können, dass er beteiligt war. Vielleicht denkt Marcus, der Alte sei ohnehin zu gebrechlich, oder Aurelia hat insgeheim ein Wort für ihn eingelegt. Tatsächlich schweigt Tertius beharrlich über seine Rolle. Niemand verrät, was er gesehen hat.
Die Tage vergehen. Vom Liebespaar fehlt weiterhin jede Spur. In der Villa versucht man, zur Normalität zurückzukehren, doch nichts ist normal. Aurelia fällt es schwer, sich um Haushalt und Personal zu kümmern ohne an Julia zu denken.
Marcus stürzt sich in Arbeit – prüft Lagerbestände, beaufsichtigt die Ernteverladung, als wolle er die Leere in seinem Haus mit Geschäftigkeit füllen. Manchmal steht er jedoch am Abend auf der Terrasse, blickt in den roten Sonnenuntergang über den Feldern und seine strenge Miene weicht einer tiefen Traurigkeit. In solchen Momenten erinnert er sich an Julia als kleines Kind, wie sie in diesem selben Garten spielte, lachte, einen Kranz aus Gänseblümchen flicht – Bilder, die nun weh tun. Er fragt sich, wo sie schläft, ob sie Hunger leidet, ob Felix sie beschützen kann. Trotz seiner Wut auf den Sklaven beginnt sich eine bohrende Unsicherheit in sein Herz zu schleichen: Hat er selbst Anteil an diesem Ausgang?
War seine Strenge, sein Stolz, sein Beharren auf Stand und Ehre es, was seine Tochter letztlich von ihm weggetrieben hat? Diese Gedanken schiebt er meist rasch wieder fort – zu ungewohnt ist es für ihn, an den eigenen Werten zu zweifeln. Doch Aurelia spürt die Veränderung in ihrem Mann. Seine Dominanz hat Risse bekommen, auch wenn er es nie offen zeigen würde.
Eines frühen Herbsttages erreicht Marcus schließlich eine Nachricht: In einer kleinen Ortschaft weit im Norden habe man zwei Fremde gesehen, auf die die Beschreibung passen könnte – eine junge Frau und ein Mann mit zwei Pferden, unterwegs gen Gallien. Die Quelle ist unsicher, aber Marcus’ Kontakte melden es ihm. Er sitzt lange mit dem Pergament in der Hand, still. Aurelia beobachtet ihn dabei. Schließlich fragt sie leise: „Wirst du sie verfolgen?“ Marcus antwortet nicht sofort. Dann legt er das Schreiben beiseite. „Nein“, sagt er tonlos. Aurelia hebt erstaunt den Blick. Marcus steht am Fenster und betrachtet einen großen Baum im Innenhof, dessen Blätter sich bereits verfärben. „Wenn sie bis dorthin gekommen sind… dann sind sie jetzt außerhalb meiner Reichweite.“ Es klingt fast so, als spräche er zu sich selbst.
Dann strafft er die Schultern: „Ich habe andere Sorgen. Die Ernte, die Villa… und Rom hat neue Edikte erlassen, da brauche ich meinen Einfluss hier.“ Aurelia tritt neben ihn, wagt es und legt ihre Hand auf seine. Er erwidert die Geste zaghaft. Beide schauen hinaus auf den Baum, dessen Blätter gelb und rot in der Herbstsonne leuchten.
So kehrt nach und nach eine Art Alltag zurück in Villa Borg, doch vieles ist nicht mehr, wie es war. Das soziale Gefüge hat einen Bruch erlebt: Die Herrschaft hat gelernt, dass selbst in ihrer kontrollierten Welt Unvorhergesehenes geschieht – dass ein Sklave und eine Herrin alle Regeln brechen können aus Liebe.
Unter den übrigen Sklaven flüstert man nachts in den Quartieren heimlich über die Ereignisse. Manche erzählen sich die Geschichte der heimlichen Liebenden mit leuchtenden Augen als hoffnungsvolle Legende – dass sogar die Ketten der Sklaverei nicht stark genug waren für die Macht der Liebe. Andere sind skeptischer und fürchten verstärkte Härte der Herren.
Tatsächlich achtet Dama nun noch strenger auf Disziplin; Ausgänge werden stärker bewacht. Aber ebenso ist Marcus etwas milder im persönlichen Umgang geworden, als hätten Kummer und Verlust seinen Charakter nachdenklicher gemacht.
Eines Abends, der Winter steht kurz bevor, wandelt Marcus allein im Innenhof. Der große Baum dort – eine alte Eiche – hat all seine Blätter abgeworfen. Die knorrigen Äste recken sich kahl in den grauen Himmel. Marcus bleibt stehen und betrachtet das geäst.
Der Baum wirkt verletzlich und entblößt, aber doch standhaft im kalten Wind. Marcus legt eine Hand auf die raue Rinde. Er denkt an Julia: Jetzt wird sie unterwegs in Gallien sein, auch im Herbstwetter… Ein tiefer Seufzer entweicht ihm. Aurelia beobachtet ihn aus der Ferne und sieht, wie er die Hand an den Baumstamm lehnt und den Kopf senkt. Sie weiß, er trauert – um die Tochter, um enttäuschte Erwartungen, vielleicht auch um einen Teil von sich selbst, der unwiederbringlich vergangen ist.
Doch wie die Natur im Wechsel der Jahreszeiten ihre Zyklen hat, so bringt jeder Abschluss auch einen Anfang. Neuanfang – ein Wort, das Aurelia oft im Stillen bewegt. Sie und Marcus haben begonnen, offener miteinander zu reden in den letzten Wochen. Eines Nachts, am Kamin, hat Marcus leise gefragt: „Glaubst du, sie ist glücklich?“ Und Aurelia antwortete sanft: „Ich hoffe es. Es wäre ihre größte Strafe, wenn nicht.“ In diesen Momenten wird beiden klar, dass sie trotz allem das Beste für ihr Kind wollen – nur haben sie unterschiedliche Vorstellungen davon, was das Beste ist. Marcus, immer pflichtbewusst, dachte an Status und Sicherheit. Julia sehnte sich nach Liebe und Freiheit. Zwei Generationen, zwei Welten, die aneinandergerieten.
Die kulturellen und sozialen Veränderungen, die im Römischen Reich bereits dämmern, spiegeln sich in solchen familiären Dramen wider. Immer häufiger hört man von Sklaven, die freigelassen werden; das Christentum breitet sich in den Städten aus und predigt die Gleichheit aller Seelen vor Gott – eine revolutionäre Idee für die bisher so streng hierarchische Gesellschaft. In Trier hat Kaiser Konstantin gerade erst eine große Basilika errichten lassen; das Christentum wird hoffähig. Es ist eine neue Zeit im Kommen, in der Standesdünkel langsam Risse bekommen werden. Noch führt die Villa Borg ein Leben weitgehend nach altem Muster, doch die Episode um Julia und Felix hat ihren Bewohnern einen Ausblick gegeben: Ein kurzer Blick darauf, dass die bestehenden Verhältnisse nicht ewig unverändert bleiben müssen.
Marcus hätte früher niemals geglaubt, dass seine eigene Tochter Normen in Frage stellt. Nun, da es geschehen ist, kann er es nicht verdrängen. Eines Abends sitzt er in seiner Bibliothek – einem kleinen Raum mit ein paar Schriftrollen und Kodizes, die er gesammelt hat. Darunter befindet sich eine Abschrift von Senecas Briefen. Marcus liest die Zeilen: „Vivere militare est“ – zu leben heißt, zu kämpfen.
Er legt die Rolle weg und murmelt vor sich hin: „Ja, kämpfen… aber wofür?“ Sein Blick fällt auf ein Wachstäfelchen, auf dem noch Julias krakelige Geometrie-Zeichnung von jenem Morgen im Sommer zu sehen ist – ein halb verwischtes Dreieck. Er fährt sanft mit dem Finger darüber und lächelt wehmütig. Die Geometrie der Liebe, denkt er, wie Philon es nannte. Drei Punkte, die ein Dreieck bilden: Er, Julia, Felix – jeder mit seiner Wahrheit. Und letztlich war das Dreieck instabil; eine Seite hat sich gelöst, um eine neue Form zu finden.
Die Wintermonate gehen vorbei, die Arbeit ruht zum Teil in Feld und Weinberg. Marcus lenkt seine Energie in den Ausbau der Villa: Er lässt ein neues** Badebecken** bauen, verbessert die Hypokausten-Heizung im Gästequartier – vielleicht ein Weg, sich abzulenken, aber zugleich doch ein Schaffen für die Zukunft. Aurelia engagiert sich in der nahen Dorfgemeinde, hilft den Frauen dort beim Flicken der Netze oder bringt Lebensmittel, und Marcus lässt sie gewähren – was früher unüblich war, wirkt jetzt wie ein kleiner Ausgleich für das, was sie verloren haben.
Dann bricht ein neuer Frühling an. Die Eiche im Hof treibt frische grüne Blätter. Das erste Lamm des Jahres blökt im Stall, es wird in Aurelias Schürze zur Villa getragen, weil seine Mutter keine Milch hat. Aurelia päppelt es mit Ziegenmilch auf, und Marcus schmunzelt sogar darüber. In einem dieser stillen friedlichen Augenblicke – Vogelzwitschern in der milden Luft, Sonnenstrahlen auf frisch sprießendem Gras – stehen Marcus und Aurelia gemeinsam im Hof. Beide blicken zum blühenden Baum, der vor einigen Monaten so kahl war. Aurelia legt ihren Kopf an Marcus’ Schulter. „Vielleicht… kommt sie eines Tages zurück“, flüstert sie.
Marcus legt seinen Arm um sie. „Vielleicht“, sagt er leise. „Wenn nicht – so hoffe ich, sie hat ein gutes Leben.“ Es ist kein Groll mehr in seiner Stimme, nur leise Wehmut und Hoffnung. Aurelia lächelt sanft: „Die Götter – oder der eine Gott – mögen sie schützen.“ Marcus zieht eine Augenbraue hoch; Aurelia hat heimlich begonnen, christliche Gedanken zuzulassen. Er selbst ist noch unschlüssig, doch er tadelt sie nicht.
Die Villa Borg lebt weiter, hat aber ihre Unschuld, ihre starre Ordnung ein Stück weit verloren – und dafür Menschlichkeit gewonnen. Die Vergangenheit bleibt in Erinnerung, doch die Zukunft wird immer wieder neu geschrieben, von jeder Generation.
Epilog: Echo der Jahrhunderte
Jahrhunderte vergehen. Das Römische Reich verblasst im Strom der Zeit, so wie die Farben der Fresken in der Villa Borg allmählich verblassen und die Mauern Risse bekommen. Um 400 n. Chr. schließlich wird die Villa aufgegeben ([PDF] Die Römische Villa Borg - saarland.de) – die politischen Wirren der Völkerwanderung, Überfälle germanischer Stämme oder einfach der wirtschaftliche Niedergang lassen das Anwesen verfallen. Menschen ziehen fort, die Gebäude zerfallen, Steine werden in späteren Zeiten als Baumaterial fortgeschafft. Die prächtige Villa, einst Symbol von Wohlstand und straffer sozialer Ordnung, wird vom Erdboden verschluckt. Gras und Wald überwuchern, wo einst Mosaikböden glänzten.
Doch nichts von alledem löscht die Geschichten, die sich hier zugetragen haben. Sie bleiben als leises Echo in der Luft hängen. Vielleicht erzählen sich die Dorfbewohner der folgenden Jahrhunderte gelegentlich Legenden: von einem schönen Fräulein, das mit ihrem Geliebten in einer Sommernacht davonritt, oder von einem verborgenen Schatz der Römer auf dem Borg-Hügel. Der Kern der wahren Geschichte – von Liebe, Mut und Wandel – mag in solchen Erzählungen fortbestehen, verwandelt, aber nicht vergessen.
Fast 2000 Jahre nach den geschilderten Ereignissen entdecken Archäologen die Überreste der Villa Borg wieder. Mit wissenschaftlicher Neugier und Sorgfalt legen sie Mauern frei, analysieren Fundamente und deuten Befunde.
In den rekonstruierten Mauern erwacht die Vergangenheit erneut zum Leben, diesmal jedoch als Archäologiepark, als Bildungsort für die moderne Gesellschaft. Heute wandeln Besucher zwischen den wiederaufgebauten Säulen und Räumen, staunen über die römische Badekultur und die Fußbodenheizung des Hypokaustums (Römische Villa Borg – Wikipedia), kosten in der Taverne nachgekochte Speisen nach Rezepten des Apicius (Römische Villa Borg – Wikipedia) und bestaunen die Handwerkskünste von damals. Man zeigt ihnen, wie Glas geblasen wurde, wie Töpfer ihre Waren brannten und wie Schwerter geschmiedet wurden – Künste, die unsere Vorfahren meisterhaft beherrschten und die den Grundstein vieler moderner Techniken legten (Römische Villa Borg – Wikipedia).
Während die Besucher durch den Innenhof schlendern, fragen sie sich vielleicht: Wie war es wirklich, hier zu leben? War es hart? War es schön? Die historischen Fakten geben Auskunft über Gebäude, Gegenstände, Wirtschaftsweisen.
Doch die Geschichten hinter den Mauern – die persönlichen Dramen, Lieben, Konflikte – bleiben der Fantasie überlassen. Und doch, in manch stiller Minute, wenn ein Windhauch durch die Eichen des Hofes streicht, könnte man meinen, ein Flüstern zu hören: das Lachen einer jungen Frau, das Schnauben eines Pferdes in der Nacht, oder ein leises „Ich liebe dich“ unter den Sternen.
Die moderne Gesellschaft hat sich weit von der römischen entfernt: Sklaverei ist geächtet, die Rechte des Individuums werden hochgehalten, Frauen können selbst über ihr Leben bestimmen, die Arbeit wird entlohnt und Maschinen nehmen uns Mühen ab – Errungenschaften, von denen die Menschen in der Villa Borg nur träumen konnten.
Doch gewisse Parallelen bleiben. Auch heute noch ringen junge Menschen mit den Erwartungen ihrer Eltern, suchen ihren eigenen Weg jenseits vorgezeichneter Pfade.
Auch heute gibt es soziale Schichten, Ungerechtigkeiten und den Wunsch nach mehr Gleichheit. Wir erkennen in den Römern sowohl etwas Fremdes als auch vieles Vertrautes: den Wert von Familie, den Drang nach Liebe, den Stolz auf Besitz und Erfolg, die Angst vor Veränderung.
Ihre Welt hatte klare Hierarchien – Herren und Sklaven –, unsere Welt hat subtilere, aber durchaus existente soziale Gefälle. Indem wir auf das Alltagsleben in einem römischen Landgut zurückblicken, halten uns die Alten einen Spiegel vor: Wie gehen wir heute mit Macht und Privileg um? Was bedeuten uns Freiheit und Gleichheit wirklich?
Die Erzählung der Villa Borg vereint Historie, Fiktion und Reflexion. Sie zeigt den harten Alltag und die strahlende Kultur der Römer: das mühsame Arbeiten der Sklaven, aber auch die Poesie in ihren Festen; die Pracht der römischen Villen mit ihren Gärten, Mosaiken und Bibliotheken, aber auch die einfachen Freuden eines Abends unterm Sternenhimmel.
Sie verwebt Motive von verbotener Liebe, von einem Sommer voller Veränderungen, von Verlust und Neuanfang – universelle Themen, die Menschen jeder Epoche berühren.
So könnte man das Leben in der Villa Borg einst erleben: als ein Kaleidoskop aus Stimmen – der Befehl des Dominus am Morgen, das Flüstern zweier Verliebter in der Dämmerung, das Klirren der Kelche beim Bankett, das Ächzen der Wagenräder auf dem Hof.
All diese Töne sind verklungen. Doch auf den freigelegten Böden der Villa, wo heute Besucher stehen, haben sich die Fußabdrücke der damaligen Menschen unauslöschlich eingebrannt – nicht sichtbar für das Auge, aber spürbar für jene, die mit dem Herzen lauschen. Und wenn wir heute dort stehen, können wir uns einfühlen in eine ferne, doch irgendwie vertraute Welt. Wir begreifen, dass trotz aller Unterschiede die Menschen damals liebten, litten und hofften wie wir.
Die Geschichte der Villa Borg ist damit mehr als ein regionales Historiendrama – sie ist ein Spiegel der Menschheit. Sie zeigt uns, wie weit wir gekommen sind: vom römischen Imperium zur modernen Demokratie, vom Sklaven zum freien Bürger, von patriarchalen Zwängen zu individueller Selbstbestimmung. Und sie erinnert uns zugleich daran, dass gewisse Wahrheiten zeitlos sind: Liebe kennt keine Geometrie der Vernunft, Freiheit hat ihren Preis, und kultureller Wandel geschieht oft langsam, ausgelöst durch mutige Einzelne, die Regeln brechen.
Mögen kommende Generationen, die die #Villa Borg besuchen, diese Lektionen mitnehmen. Mögen sie unter dem Schatten jener Eiche – oder ihres Nachfolgers – stehen und sich erinnern, dass jede Epoche ihre Helden und Heldinnen hat, nicht nur auf den Schlachtfeldern der Geschichte, sondern auch im täglichen Leben: Ein Mädchen namens Julia und ein Junge namens Felix, deren Mut und Liebe es vermochten, die starre Ordnung ihrer Zeit herauszufordern. Dieses Vermächtnis, diese Idee, dass Herz und Menschlichkeit letztlich zählen, wirkt fort – vom gestrigen römischen Garten bis in unsere moderne Welt hinaus.
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