Die Wiederentdeckung – Archäologen auf den Spuren der Römer (1987)

Das Vermächtnis der Villa Borg - Historischer Roman

Das Vermächtnis der Villa Borg

Ein spannender Roman über die Villa Borg und ihre lange Geschichte

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Kapitel 1: Prolog – Im Schatten der Hügel (1900)

Ein milder Sommerabend im Jahr 1900. Johann Schneider, Dorfschullehrer in Oberleuken, streift nach dem Unterricht über die sanft geschwungenen Felder am Rand des Dorfes. Ihm ist aufgefallen, dass hier eigenartige, unnatürliche Hügel aus dem Boden ragen. 

Die Dämmerung taucht die Landschaft in goldenes Licht, als er innehält: Unter seinen Stiefeln spürt er plötzlich den Widerstand von Steinen, wo eigentlich weiche Erde sein sollte. 

Neugierig kniet Johann nieder. Mit bloßen Händen wischt er Erde zur Seite – und enthüllt ein Stück behauenen Mauerwerks, überwuchert von Moos und Gras. 

Sein Herz schlägt schneller. Vorsichtig legt er weitere Fragmente frei: römische Ziegelstücke und ein zerbrochenes Tonkrug-Fragment mit verziertem Rand.

Johann setzt sich auf die Fersen und betrachtet ehrfürchtig die Fundstücke in seiner Handfläche. „Römische Überreste… hier, in Borg?“ murmelt er ungläubig. Er erinnert sich an Geschichten der Alten im Dorf, die von vergrabenen Schätzen und alten Mauern raunten. Vielleicht war mehr dran, als alle dachten. In Gedanken versunken holt der Lehrer ein Notizbuch hervor. Das Licht schwindet, doch Johann schreibt hastig ein paar Zeilen: erste Hinweise auf eine römische Villa.

Da hört er hinter sich Schritte im Gras. Sein Freund Peter Hansen, der Dorfbürgermeister, ist ihm gefolgt, neugierig auf Johanns abendliche Erkundungen. „Was hast du dort, Johann?“ fragt Peter außer Atem. 

Johann richtet sich auf und zeigt die Fundstücke mit zitternder Hand. Im letzten Licht des Tages erkennt der Bürgermeister die antiken Artefakte. Überraschung und Aufregung spiegeln sich auf seinem Gesicht.

„Wir müssen das melden“, flüstert Johann ehrfürchtig. „Stell dir vor, hier hat einst eine römische Villa gestanden…“ Peters Augen leuchten, doch er legt Johann beruhigend eine Hand auf die Schulter. „Langsam, Freund. Lass uns morgen bei vollem Tageslicht genauer schauen.“

An diesem Abend aber kann Johann Schneider kaum schlafen. Die leisen Stimmen der Vergangenheit, die verfallenen Mauern und die Bruchstücke der römischen Keramik lassen seine Gedanken rasen. Er ahnt nicht, dass er gerade den Grundstein für eine Reise durch die Zeit gelegt hat – die Geschichte der Villa Borg, vom römischen Glanz bis zur Wiedergeburt in der Moderne, wartet darauf, erzählt zu werden.




Kapitel 2: Die Anfänge – Ein keltischer Hof im Wandel (um 30 v. Chr. – 50 n. Chr.)

Borg, mehrere Jahrhunderte zuvor: Das sanfte Hügelgelände ist noch von dichterem Wald und Wiesen geprägt. In der späten Dämmerung des Sommers 30 v. Chr. flackert im Innenhof eines keltischen Gehöfts ein Feuer. Der Geruch von Rauch und gekochtem Getreidebrei hängt in der Luft. Aislin, die Tochter des Hofes, wirft weitere Zweige ins Feuer, während ihr Vater Bran mit gerunzelter Stirn in die Flammen starrt. Noch herrschen hier die Treverer, ein keltischer Stamm, doch Gerüchte von fremden Armeen – den Römern – eilen durchs Land.

Das Gehöft besteht aus einfachen Lehmbauten mit Strohdächern. Hühner scharren in einer Ecke, und im Stall schnauben zwei zottelige Rinder. Bran erhebt sich seufzend. „Die Ernte wird mager ausfallen dieses Jahr“, sagt er leise zu seiner Frau Nessa, die gerade Wasser aus dem hölzernen Brunnen zieht. Nessa nickt besorgt. Die politischen Winde haben sich gedreht: Seit Caesar Gallien erobert hat und Augustus nun das Römische Reich festigt, spüren auch die entlegensten Dörfer Veränderungen. Römische Händler tauchen mit glänzenden Metallwerkzeugen und feinen Stoffen auf, verlangen aber hohe Preise. Und immer häufiger sind Legionäre auf den Straßen unterwegs, die Latinisch sprechen und nach Tributen fragen.

In dieser Nacht träumt Aislin unruhig. Sie sieht im Traum seltsame Bilder: Ihr vertrauter Hof verwandelt sich. Holzzäune weichen Steinmauern, einfache Hütten werden durch stattliche Gebäude mit Ziegeldächern ersetzt. Fremde Götterstatuen – Jupiter, Juno, Mars – stehen dort, wo jetzt noch ihre Mutter jeden Morgen den Hausgeist um Schutz bittet. Aislin erwacht schweißgebadet, als draußen Hufgetrappel ertönt.

Am nächsten Morgen reitet tatsächlich eine kleine Kohorte römischer Kavallerie durch das Tal. An ihrer Spitze ein Offizier mit rotem Umhang. Lucius Valerius, ein Centurio der legio XXII, hält vor Brans Hof. 

Die Familie tritt unsicher zusammen. Lucius spricht in gebrochenem Gallisch: „Im Namen Roms: Dieses Land ist nun Teil des Reiches. Habt keine Furcht – Rom bringt Frieden und Wohlstand.“ Sein Lächeln wirkt freundlich, doch die Bewaffnung seiner Männer spricht eine andere Sprache.

Bran senkt ergeben den Blick. Er weiß, Widerstand wäre zwecklos. So kommt es, dass wenige Wochen später römische Landvermesser das Gebiet markieren. Steinpfeiler mit eingeritzten Zahlen erscheinen an den Feldrändern – Symbole eines neuen Besitzanspruchs. Die Romanisierung Galliens hat Borg erreicht.

Doch anstatt sie zu verdrängen, schmieden die Römer Bündnisse mit lokalen Anführern. Bran, als einer der angesehensten Männer der Gegend, wird ein Angebot gemacht: Wenn er Rom die Treue schwört, kann er als Verwalter seines Landes im Auftrag des Imperiums weiter regieren. Im Gegenzug soll er Steuern entrichten und Arbeitskräfte stellen für den Bau von Straßen. Schweren Herzens willigt Bran ein. Für seine Kinder – Aislin und den jüngeren Taran – bedeutet dies eine Zukunft im Schatten Roms.

In den folgenden Jahren wandelt sich das Gehöft allmählich. Händler bringen neue Baupläne und Werkzeuge. Bran lernt den römischen Architekten Marcus Aelius kennen, der vorschlägt, auf dem Gelände einen kleinen römischen Gutshof zu errichten – eine Villa nach römischem Vorbild, freilich zunächst aus Holz und Lehm, aber mit römischer Aufteilung. Es ist die Geburt der Protovilla, wie Archäologen sie später nennen werden (Römische Villa Borg – Wikipedia).

Unter Marcus’ Anleitung entstehen erste Steinfundamente neben Brans altem Wohnhaus. Aislin beobachtet mit großen Augen, wie fremde Arbeiter mit Spitzhacken Gräben ziehen. Sie hört Marcus lateinische Befehle rufen: “Cava fodere!” – grabt tiefer! Stein auf Stein wächst ein rechteckiges Fundament. Darauf errichtet man eine Halle aus Holz mit Ziegeldach – für die Treverer eine Innovation, kannten sie doch bislang nur Strohdächer. Der römische Baustil hält Einzug.

Eines Abends, als das Dach der neuen Wohnhalle gedeckt ist, steht Bran mit verschränkten Armen davor. Neben ihm Marcus Aelius, der Architekt, und Lucius Valerius, der Centurio, der regelmäßig vorbeischaut. Fackellicht tanzt über die frischen Lehmwände der Halle. „Ein bescheidener Anfang, aber ein Anfang“, sagt Lucius anerkennend auf Latein. Marcus nickt zustimmend: „Mit der Zeit kann daraus ein richtiger Landsitz werden, eine villa rustica, wenn Wohlstand kommt.“ Bran versteht ihre Worte nur teilweise, doch er erkennt den stolzen Ton.

Aislin tritt zu ihrem Vater und betrachtet das neue Gebäude. Sie denkt an ihren Traum. Vieles wirkte damals erschreckend; doch jetzt, da sie die ersten Veränderungen sieht, spürt sie neben der Furcht auch Neugier.

Während die Sterne über Borg funkeln, legt sich eine seltsame Ruhe auf den entstehenden römischen Gutshof. Alte keltische Götter und neue römische Heilige mögen in diesem Landstrich noch nebeneinander stehen, doch in den Fundamenten, die Marcus und Bran gelegt haben, verankert sich die Zukunft: die Villa, die Generationen überdauern wird.




Kapitel 3: Aufstieg einer römischen Villa (2. Jahrhundert n. Chr.)

Borg, im 2. Jahrhundert n. Chr.: Die Sonne geht strahlend über dem Anwesen auf. Aus der kleinen Protovilla von einst ist nun eine blühende villa rustica geworden, erbaut aus festem Stein. Drei Gebäudeflügel umschließen einen weiten Innenhof. Im Osten erhebt sich das prächtige Herrenhaus mit seinem Ziegeldach und der weißen verputzten Fassade, die in der Morgensonne glänzt. Gegenüber liegt der Westflügel mit Wirtschaftsgebäuden: Scheunen, Stallungen und Unterkünften für Dienerschaft und Sklaven. Im Norden schließt ein schmuckvolles Torhaus das Areal nach außen ab, während im Süden der Blick über Felder und Weinreben schweift, die sanft zum nahegelegenen Moseltal abfallen. Die gesamte Anlage umfasst etwa 7,5 Hektar – ein Zeichen beträchtlichen Reichtums.

Auf der Schwelle des Herrenhauses steht Lucius Branonius, der mittlerweile betagte Sohn von Bran und Nessa. Er trägt jetzt einen römischen Namen – zu Ehren des Centurio Lucius Valerius – und ist stolzer Besitzer dieses Landsitzes. Lucius Branonius atmet die kühle Morgenluft ein. In der Ferne hört er das Rufen der Feldarbeiter, die mit der Ernte beginnen. Das Gold der Getreidefelder und das Grün der Weinranken versprechen einen reichen Ertrag in diesem Jahr. Die politische Lage im Reich ist stabil; wir schreiben die Zeit der Antoninischen Dynastie, als das Imperium unter Kaisern wie Antoninus Pius und Mark Aurel seine größte Blüte erlebt. Pax Romana – römischer Frieden – herrscht, und davon profitiert auch die Villa Borg.

Lucius schreitet durch den Innenhof, vorbei an einem brunnenartigen Becken im Zentrum, in dem Seerosen treiben. Diener fegen die Mosaikfragmente am Boden des Portikus, wo bunte Wandmalereien Szenen der Götterwelt zeigen – Venus, die aus dem Meer steigt, und Mars mit Speer und Helm. Er erreicht den Westflügel, wo der vilicus – der Verwalter – bereits Instruktionen an die Sklaven ausgibt. Ein Ochsenkarren rollt quietschend aus der Scheune, beladen mit Amphoren voll Wein aus den eigenen Reben.

Im Vorbeigehen klopft Lucius dem Verwalter Gaius anerkennend auf die Schulter. „Hast du daran gedacht, die neuen Pressen für die Traubenmost-Herstellung zu bestellen?“, fragt er auf Latein. Gaius nickt eifrig. „Ja, Dominus. Aus Trier soll ein Handwerker kommen, der uns eine robuste Kelter bauen wird.“ Lucius lächelt – Trier (Augusta Treverorum), nur wenige Tagesritte entfernt, ist inzwischen eine römische Großstadt und Provinzhauptstadt, wohin Borgs Überschüsse an Wein und Getreide verkauft werden. Die Wirtschaft floriert: Händler reisen über gut ausgebaute Straßen, um die ländlichen Güter in die Städte zu bringen, und im Gegenzug gelangen Luxuswaren aufs Land. Lucius besitzt römische Keramik aus dem nahen Metz und feine Gläser aus Gallien, vielleicht sogar importierte Lampen aus Italien.

Am Rande des Hofes, im Schatten eines Olivenbaums (den Lucius als Setzling aus dem Süden mitbrachte und hier kühn angepflanzt hat), beobachtet Livia, Lucius’ Frau, das Treiben. Sie trägt eine feine Stola aus blassblauem Leinen und ihr dunkelbraunes Haar ist auf römische Art in einen kunstvollen Knoten gelegt. In ihren Armen wiegt sie ihren jüngsten Sohn Marcellus, während zwei ältere Kinder – Tiberius und Aurelia – um sie herumlaufen. Livia weist eine Dienerin an, frisches Wasser zu holen, und betrachtet liebevoll die Fassade des Herrenhauses, an der Efeu emporrankt. Dort befindet sich die Empfangshalle – eine großzügige Aula mit Marmorboden, in der Lucius Gäste empfängt. In Gedanken plant Livia bereits das Fest für die kommende Saturnalia im Dezember: Mitten im Winter wird die Villa in ausgelassene Feierlichkeiten eintauchen, Diener und Herren wechseln für einen Tag symbolisch die Rollen, und überall werden Öllampen die lange Winternacht erhellen.

Doch heute ist ein besonderer Tag im Sommer. In Borg findet ein Erntedankfest statt, eine Verschmelzung aus altem keltischen Brauch und römischer Tradition. Im Innenhof versammeln sich gegen Mittag alle Bewohner der Villa – freie Pächter der umliegenden Ländereien, Sklaven, die Familie des Dominus und sogar einige Nachbarn. Unter dem Torhaus weht im leichten Wind ein Tuch mit dem Emblem der Familie: ein stilisierter Eichenbaum, umwunden von einem römischen Adler – Symbol für die Verbindung von einheimischer Tradition und römischer Loyalität.

Lucius hebt den Becher mit gewürztem Mulsum (Honigwein) und spricht mit lauter Stimme: “Zu Ceres, der Göttin der Ernte, und zu den Göttern unserer Väter – mögen sie uns weiterhin Wohlstand schenken!” Die Menge antwortet mit freudigem Zuruf. Man schlachtet ein Lamm als Opfer für die Götter; der Duft von gegrilltem Fleisch mischt sich bald mit dem Aroma von frischem Brot, das in den Backöfen des Wirtschaftstrakts gebacken wurde.

Während des Festes wandert Lucius’ Blick immer wieder stolz über seine Villa. Er erinnert sich an Erzählungen seines Vaters Bran von einst: Wie einfach das Leben hier war, bevor die Römer kamen – aber auch wie hart und karg. Nun gibt es thermengeheizte Bäder, Mosaikfußböden und reichhaltiges Essen. Die Kultur der römischen Städte hat das Land erreicht. Gleichzeitig achtet Lucius darauf, auch die einheimischen Traditionen zu ehren, um die Bindung zu den lokalen Bauern nicht zu verlieren. So mischen sich beim Fest lateinische Lieder mit alten keltischen Melodien, die ein Barde auf der Leier spielt.

Als am Abend die Sterne aufgehen, ziehen sich Lucius und Livia in ihr Herrenhaus zurück. Durch das Atrium mit dem offenen Dach – in dessen Mitte ein Regenbecken, die Impluvium, das Mondlicht spiegelt – gehen sie in ihr Schlafgemach. Auf dem Weg dorthin kommen sie an der Hauskapelle vorbei, einem kleinen Raum mit einem Lararium, dem Hausaltar. Darauf stehen kleine Figuren der Laren (Hausgeister) und der Göttin Epona, die von vielen in Gallien noch verehrt wird, beschützend für Pferde und Höfe. Livia bleibt einen Moment stehen, küsst ihre Finger und berührt damit ehrfürchtig die Figur der Epona, während Lucius stumm die Hand auf eine kleine Statue Jupiters legt. In diesem Haushalt koexistieren alte und neue Glaubenswelten friedlich.

Draußen im Hof verlöschen nach und nach die Fackeln. Die Villa Borg schläft. In der Ferne zirpen Grillen. Es ist eine Zeit des Friedens und des Wohlstands, eine Zeit, in der die Villa in vollem Glanz erstrahlt. Niemand ahnt, dass diese goldenen Jahre nicht ewig währen – doch für den Augenblick ruht die Welt unter dem Schutz Roms, und die Familie Branonius träumt von einer strahlenden Zukunft.




Kapitel 4: Alltag und Architekturen – Leben auf der Villa Borg

Der nächste Morgen bricht an, und mit den ersten Sonnenstrahlen erwacht das Anwesen zum Leben. Ein Hahn kräht. In der Küche der Villa – einer eigenständigen Räumeinheit hinter dem Herrenhaus – schürt die Köchin Faustina früh das Herdfeuer an. Dichte Rauchschwaden ziehen durch die Rauchöffnung ab. Auf einem massiven Holztisch zerteilt sie Kräuter aus dem Garten, den Livia hinter dem Haus nach römischem Vorbild angelegt hat: Thymian, Rosmarin, Salbei und Minze verbreiten ihren Duft. Die Gärten der Villa Borg sind berühmt in der Region – es gibt einen Kräutergarten und einen Nutzgarten mit Gemüse, sogar Rosenstöcke und einen kleinen Lustgarten mit Statuen und Bänken. Diese Morgenstunde gehört Faustina: mit geübten Händen backt sie Fladenbrote aus Dinkelmehl und rührt einen Brei aus Hafer für die Dienerschaft an. Für die Herrschaft aber köchelt in einem Topf puls, ein Getreidebrei mit Honig und getrockneten Feigen, ein gehobenes Frühstück.

Währenddessen machen sich im Stall zwei Stallknechte an die Arbeit. Secundus, ein junger Sklave mit lockigem Haar, melkt eine Ziege und führt dann die beiden Kühe zum nahegelegenen Bach, wo sie trinken. Oldo, ein älterer Knecht germanischer Herkunft, füttert die Pferde. Es sind vier kräftige Rösser, die Lucius sowohl für die Arbeit auf dem Feld als auch für seine Reisewagen nutzt. Oldo summt leise ein altes Lied aus seiner Heimat, während er mit rauer Hand über den Hals seines Lieblingstieres streicht. Die Tiere sind unruhig heute, bemerkt er stirnrunzelnd – vielleicht spüren sie ein Gewitter kommen oder etwas Unbekanntes in der Luft.

Im Villenbad, das an den Ostflügel angrenzt, flackern noch die letzten glimmenden Kohlen unter dem Hypokaustum-Ofen. Tiberius, Lucius’ ältester Sohn, der inzwischen 16 Jahre alt ist, hat frühmorgens mit seinem Freund, dem gleichaltrigen Julius, das Bad genutzt. Jetzt sitzen die beiden Jugendlichen im Tepidarium, dem lauwarmen Ruheraum der Therme, und reden leise, während sie sich mit weichen Leinentüchern abrubbeln. Der eine prahlt mit seinen Plänen, demnächst in Trier in die Lehre eines Verwaltungsbeamten zu gehen; der andere schwärmt von einem Mädchen aus dem Nachbardorf. Das Lachen der beiden hallt durch die gekachelten Räume. Der Badekomplex ist ein ganzer Stolz der Villa – Frigidarium (Kaltbad), Caldarium (Heißbad) und Tepidarium sind voll funktionsfähig und nach dem neuesten Stand der Technik erbaut. Das Wasser wird über Tonrohre zugeleitet, und der mit Holz befeuerte Ofen erhitzt die Fußböden, so dass warmer Dampf die Räume füllt. Römischer Luxus mitten auf dem Land!

Im Herrenhaus sitzt Lucius derweil bereits an seinem Schreibpult im Arbeitszimmer. Sonnenlicht fällt durch ein kleines Fensterglas – ja, sogar Fenster aus Glas hat er sich leisten können, dünn und leicht bläulich schimmernd. Er taucht eine Feder in Tinte und beginnt, die Bücher zu prüfen. Es ist Steuertime – bald wird der römische Steuereintreiber kommen, und Lucius will die Abgabenliste bereit haben. Er führt akribisch Buch über Erträge: soundsoviel Modius Getreide, soundsoviel Amphoren Wein, dazu Einnahmen aus dem Verkauf von Wolle und Töpferwaren. Die Villa hat nämlich auch Werkstätten: Im Nordwesten des Anwesens befindet sich eine kleine Töpferei, wo ein geschickter Handwerker mit seinen Gehilfen Gefäße herstellt – nicht nur für den Eigenbedarf, auch für den lokalen Markt. In einer anderen Ecke klopft Septimus, der Schmied, bereits mit energischen Hammerschlägen auf glühendes Eisen, um Pflugscharen auszubessern. Besucher, die auf der Durchreise sind, können hier die wichtigsten Reparaturen erledigen lassen. So hat sich die Villa Borg zu einem Zentrum des umliegenden Landlebens entwickelt.

Plötzlich betritt Gaius, der Verwalter, eilig das Zimmer. „Dominus, entschuldige die Störung“, sagt er außer Atem. „Draußen ist ein Bote aus Trier angekommen. Er bringt eine Nachricht vom Statthalter.“ Lucius legt die Feder beiseite und steht auf. Ein Bote des Statthalters? Unvermittelt spürt er ein leises Ziehen der Sorge im Magen. Nachrichten aus der Provinzhauptstadt bedeuten oft nichts Gutes – entweder höhere Steuern, Einzug von Rekruten für die Armee oder schlimmer: Gerüchte von Unruhen.

Im Atrium empfängt Lucius den Boten, einen jungen Mann in staubiger Tunika, der den Weg von Trier in rekordverdächtiger Zeit zurückgelegt haben muss. Der Bote überreicht eine Schriftrolle, versiegelt mit dem Wachsabdruck des Statthalters von Gallia Belgica. Lucius bricht das Siegel und überfliegt die Zeilen. Sein Gesicht versteinert sich.

Livia, die neugierig hinzugetreten ist, legt besorgt die Hand auf Lucius’ Arm. „Was steht drin?“ fragt sie leise. Lucius räuspert sich. „Der Kaiser ist tot“, sagt er tonlos. „Commodus wurde in Rom ermordet… und es gibt Unruhen im Reich. In Rom ringen sie um die Nachfolge.“ Ein Raunen geht durch die Umstehenden. Die Nachricht vom Tode des Kaisers – es ist das Jahr 192 n. Chr. – lässt alle innehalten.

Lucius aber liest weiter: „Der Statthalter warnt vor möglichen Unruhen an den Grenzen. Die Rheingrenze soll verstärkt werden. Es könnten… Übergriffe germanischer Stämme drohen, falls die Stabilität Roms ins Wanken gerät.“ Livia schlägt die Hand vor den Mund. Erinnerungen an längst vergangene Zeiten, als die römischen Legionen noch um die Kontrolle Galliens kämpften, werden wach – Geschichten von Einfällen der Germanen jenseits des Limes.

Die Idylle des Alltags hat einen Riss bekommen. Lucius entlässt den Boten mit einer knappen Dankesgeste und zieht sich ins Arbeitszimmer zurück, um Antwort zu formulieren. Tiberius und Julius, die inzwischen vom Bad erfrischt herausgekommen sind, stehen mit großen Augen im Hof. Sie spüren, dass dieser Tag eine Wende bedeuten könnte.

Doch vorerst geht das Leben weiter: Die Mittagsglocke – ein einfacher Gong aus Bronze – ruft alle zum Prandium, dem Mittagsmahl. Unter den Arkaden am Rand des Innenhofs sind Holztische aufgestellt. Es gibt Erbsensuppe, frisches Brot, Ziegenkäse und Olivenöl aus einer Amphore, die Lucius aus dem fernen Hispania bezogen hat. Die Arbeiter und Sklaven essen getrennt von der Familie, aber zur Feier des erfolgreichen Vormittags dürfen heute auch die Vorarbeiter am unteren Ende der Tafel des Verwalters Platz nehmen.

Eine leichte Spannung liegt jedoch in der Luft. Gerüchte machen schnell die Runde: „Der Kaiser tot?“, „Wird es Krieg geben?“, flüstern einige. Andere winken ab – zu weit weg scheint Rom. In Borg scheint noch Frieden zu herrschen, doch niemand kann die ferne Politik auf Dauer ignorieren.

Am Nachmittag versammelt Lucius im Empfangssaal des Herrenhauses seine Vertrauensleute: den Verwalter Gaius, den Schmied Septimus, und sogar Oldo, der erfahrene Knecht, der früher Soldat im römischen Heer war. Sie beraten, was zu tun sei, falls tatsächlich Unruhen ausbrechen. Oldo, dessen linkes Bein steif ist – eine alte Kriegsverletzung aus der Zeit, als er Legionär an der Donaugrenze war – rät zur Vorsicht: “Wir sollten Vorräte anlegen und die Wachposten am Tor erhöhen.” Der Schmied nickt: “Ich kann aus Eisenstangen Spieße für die Wachen schmieden.” Lucius hört zu, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, und blickt aus dem Fenster auf den sonnigen Hof, als Oldo leise hinzufügt: “Ich habe die Pferde heute morgen wiehern gehört, ohne Grund. Vielleicht spüren sie kommende Stürme.”

Lucius unterdrückt einen Schauder. Er spürt, dass eine Veränderung naht. Die prächtigen Mauern der Villa Borg, eben noch Symbol von Sicherheit und Überfluss, erscheinen ihm plötzlich verwundbarer als zuvor. Doch noch hält er an der Hoffnung fest, dass dies nur eine vorübergehende Sorge ist und dass die Villa den Sturm der Geschichte unbeschadet überstehen möge.




Kapitel 5: Sturmwolken – Zeiten des Unheils (3. Jahrhundert n. Chr.)

Ein paar Jahrzehnte sind vergangen. Borg, Mitte des 3. Jahrhunderts n. Chr.: Die Welt hat sich verändert. Das Römische Reich erlebt eine Krise – die Kaiser wechseln in rascher Folge, Usurpatoren und Gegenkaiser erheben sich in den Provinzen. Im Westen hat sich sogar kurzzeitig ein eigenes Reich gebildet, das sogenannte Gallische Sonderreich unter Postumus (um 260 n. Chr.), als Gallien sich zeitweise von Rom lossagt.

Für die Bewohner der Villa Borg sind dies unruhige Zeiten. Marcellus Branonius, jüngster Sohn des alten Lucius, ist nun Herr der Villa. Sein Vater Lucius starb vor einigen Wintern – er erlebte noch, wie Germanenstämme die Rheingrenze durchbrachen und bis tief nach Gallien eindrangen. Die Erzählung geht, dass Lucius an gebrochenem Herzen starb, als er hörte, dass einige benachbarte Gutshöfe von plündernden Kriegern niedergebrannt wurden. Doch Borg blieb bislang verschont – dank seiner etwas abgelegenen Lage und vielleicht auch dank Glück.

Marcellus steht auf der Mauer des Torhauses und späht in die Ferne. Die Mauern der Villa sind mittlerweile verstärkt; wo früher nur ein hölzernes Tor stand, hat Marcellus eine robuste zweiflügelige Holztür mit Eisenbeschlägen einbauen lassen. Zusätzlich wurden auf den Ecken der Hofmauer kleine Wachtürme errichtet, in denen Tag und Nacht ein Wächter Ausschau hält.

Die Felder liegen brach an diesem Spätsommernachmittag. Viele Arbeiter sind weg – einige wurden als Soldaten rekrutiert, andere sind mit ihren Familien nach Süden geflohen, näher an die Städte, wo sie mehr Sicherheit hoffen. Auf Borg verrichten nun vor allem Sklaven und ein paar verbliebene freie Bauern die nötige Arbeit, um das Überleben zu sichern. Der einst blühende Handel ist nahezu zum Erliegen gekommen: Händler wagen sich kaum noch auf die unsicheren Straßen, und wenn doch, reisen sie in bewaffneten Karawanen.

Im Innenhof der Villa herrscht angespanntes Schweigen. Claudia, Marcellus’ Frau, verteilt wässrige Gemüsesuppe an die verbliebenen Menschen. Es sind nicht mehr viele. Die prächtigen Bankette vergangener Tage sind zu fernen Erinnerungen verblasst. Einst hat man hier Pfau und Wildschwein bei Festen aufgetragen; nun isst man einfache Gerichte, oft nur dünnen Eintopf. Claudia versucht ein Lächeln, als sie dem alten Oldo – der immer noch lebt, mittlerweile weißhaarig und vom Alter gebeugt – eine Schale Suppe reicht. Oldo bedankt sich mit einem Nicken. In seinen Augen spiegelt sich Sorge, aber auch Entschlossenheit. Er hat mehr als ein Menschenleben lang gedient und gesehen, wie ein Reich blüht und nun zu taumeln scheint.

Marcellus kommt die Treppe vom Torhaus herunter. In der Hand hält er ein Stück Pergament – eine weitere Hiobsbotschaft: Ein Brief eines Freundes aus Trier berichtet von Plünderungen in nahegelegenen Dörfern entlang der Mosel. Marcellus’ Kiefer mahlt, als er die Faust um den Brief ballt. “Wie lange noch, bis sie hier auftauchen?” murmelt er bitter.

Kaum hat er die Worte ausgesprochen, ertönt von draußen ein gellender Warnruf. Der Wachposten auf dem östlichen Turm schreit: „Reiter! Fremde Reiter nähern sich!“ Sofort ist Aufruhr. Marcellus wirft Claudia einen raschen Blick zu. „Bring die Kinder ins Haus, sofort!“ Claudia, bleich vor Schreck, ruft nach den beiden Jungen – Septimius und Florus, zehn und acht Jahre alt – die im Garten gespielt haben. Sie packt sie an den Händen und zieht sie Richtung Herrenhaus.

Marcellus greift nach einem Speer, der an der Hofmauer lehnt. Oldo erhebt sich trotz schmerzender Gelenke und humpelt zu einem Köcher mit Pfeilen und einem Jagdbogen, den er einst besaß. Einige der jüngeren Sklaven rennen ebenfalls, um Werkzeuge als Waffen zu holen – Sensen, Mistgabeln, alles, was sie finden können. Ihre Gesichter sind von Panik gezeichnet, aber auch von dem Willen, ihr Heim zu verteidigen.

Das Donnern von Hufen kommt näher. Durch das offene Torhaus sieht man nun eine Staubwolke. Etwa ein Dutzend Reiter erscheinen – rau aussehende Männer mit langem Haar und Bärten, in Tierfelle gekleidet, mit Schwertern und Speeren bewaffnet. Germanische Plünderer. Ihr Anführer hebt eine Hand, und die Truppe hält vor dem Tor. Einer der Germanen ruft in gebrochenem Latein: “Gebt uns, was wir wollen – Essen, Wein, Gold! Dann ziehen wir weiter. Widerstand ist sinnlos!”

Marcellus spürt sein Herz bis zum Hals schlagen. Er weiß, die Chancen stehen schlecht. Aber er hofft, dass die Eindringlinge sich mit Vorräten zufrieden geben und nicht auf Zerstörung aus sind. Er ruft zurück: “Wir haben kaum mehr etwas! Nur Nahrung für uns selbst… zieht weiter, dies ist ein armer Hof.” Seine Stimme hallt über den Hof, wo sich alle hinter ihm versammelt haben.

Ein hämisches Lachen ist die Antwort. Dann, ohne weiteres Zögern, galoppieren die ersten beiden Reiter durch das Tor und in den Hof, gefolgt von den anderen. Marcellus schreit: “Jetzt!” und wirft seinen Speer. Der Speer verfehlt knapp den vordersten Reiter, der ausweicht und mit grimmigem Gesicht auf Marcellus zurast. Oldo, mit erstaunlicher Ruhe, legt einen Pfeil auf den Bogen und lässt ihn fliegen. Der Pfeil trifft einen Plünderer in die Schulter; dieser brüllt vor Schmerz. Ein wilder Kampf entbrennt.

Die Germanen sind kriegserprobt und in der Überzahl. Marcellus wird vom Pferd des Anführers zu Boden gestoßen. Er rollt sich ab und greift nach einem Schwert, das ein Sklave fallen gelassen hat, nachdem dieser von einem Hieb niedergestreckt wurde. In der Ecke des Hofes versucht eine Handvoll Diener, mit Mistgabeln einen Reiter zu stellen, doch er schwingt sein Schwert in weiten Bögen und zwingt sie zurück.

Claudia beobachtet das Geschehen aus dem Fenster des Herrenhauses. Sie drückt ihre Söhne an sich, die weinen, und ringt verzweifelt nach Fassung. Als sie sieht, wie Marcellus am Boden gegen den feindlichen Anführer kämpft, stößt sie einen Schrei aus: “Nein!”

Marcellus pariert gerade noch einen Schwerthieb, doch der Germane ist kräftig. Mit einem Tritt wirft er Marcellus erneut nieder. Oldo eilt herbei und stößt dem Angreifer einen Speer entgegen, aber bevor er treffen kann, wird der alte Mann von einem zweiten Reiter von hinten mit der Lanze durchbohrt. Oldo sinkt wortlos in sich zusammen – der treue Veteran ist tot, noch ehe er den Boden berührt.

Marcellus bleibt keine Zeit zu trauern. Im selben Moment durchzuckt ein brennender Schmerz seinen linken Arm: Der Anführer hat ihn mit dem Schwert gestreift. Marcellus beißt die Zähne zusammen, weicht zurück in Richtung des Brunnens in der Hofmitte. Sein Blick huscht umher – viele seiner Leute liegen verletzt oder schlimmer. Zwei Scheunen haben Feuer gefangen, als die Eindringlinge Fackeln hineinschleuderten. Panik steigt in ihm auf, doch er weiß, dass Aufgeben das Ende bedeuten könnte – für alle.

Da hört man plötzlich ein lautes Horn außerhalb der Mauern. Ein Signal? Die Plünderer halten inne und blicken nervös zum Tor. Noch ein Hornstoß. Der Anführer zischt einen Fluch in seiner Sprache und gibt ein Handzeichen. Offensichtlich wittert er Gefahr von außen – vielleicht römische Verstärkung?

Tatsächlich hat sich auf der Landstraße eine Gruppe römischer Auxiliartruppen gezeigt, alarmiert durch die Rauchzeichen der brennenden Gebäude. Die Plünderer entschließen sich zum Rückzug, um nicht eingekesselt zu werden. Mit wütenden Schreien werfen sie noch brennende Fackeln auf das Dach des Herrenhauses und zu den Ställen, dann ziehen sie sich hastig durch das Tor zurück, verschwinden im Staub der Straßen Richtung Wald.

Zurück bleibt Verwüstung: Flammen schlagen aus dem Dachstuhl des Herrenhauses. Marcellus, blutend und benommen, schreit Befehle: “Wasser! Löscht das Feuer!” Diener und Familienmitglieder rennen, bilden eine Kette vom Brunnen zu den Gebäuden, reichen Eimer um Eimer. Der Kampf ist vorbei, aber die Schlacht ums Überleben geht weiter.

Claudia stürzt mit den Kindern ins Freie, als das Feuerlodern näher kommt. Marcellus schlingt den unverletzten Arm um sie. Zusammen mit den übrigen Überlebenden schaffen sie es nach verzweifelter Mühe, die Feuer zu ersticken, bevor das gesamte Anwesen ein Raub der Flammen wird. Doch der Schaden ist verheerend: Ein Teil des Daches ist eingestürzt, der Westflügel mit den Stallungen brennt noch in der Nacht aus. Mehrere Menschen sind tot oder schwer verletzt.

Unter den Toten finden sie Oldo, dessen Leben so tragisch endete, aber auch junge Sklaven, die mutig gekämpft hatten. Marcellus kniet erschöpft im Innenhof, die Luft riecht nach Rauch und Asche. Claudia legt sanft eine Hand auf seine Schulter, Tränen rinnen über ihr schmutzverrußtes Gesicht.

“Wir leben”, flüstert sie, mehr zu sich selbst als zu ihm. Marcellus nickt stumm. In seinem Inneren jedoch herrscht Chaos. Die Villa, das Erbe seiner Familie, liegt in Trümmern. Die Römer, auf deren Schutz man vertraute, kamen zu spät – und überhaupt, wer weiß, ob diese Region je wieder sichere Zeiten sehen wird.

In der Ferne erlischt der letzte Schein der davongezogenen Plünderer. Die Dämmerung bricht an über Borg. Die Blütezeit ist vorbei, und ein dunkles Zeitalter wirft seine Schatten auf die einst so prächtige Villa.




Kapitel 6: Verfall und Vergessen (Spätantike und Mittelalter)

Jahre vergehen. Marcellus und Claudia versuchen, die Villa notdürftig instand zu setzen, doch die Zeiten bleiben unsicher.

Immer wieder ziehen Kriegswirren durch das Land. In den späten 300er-Jahren erreicht das Christentum auch diese Region; ein Wanderprediger tauft einige Bewohner Borgs, doch viele sind längst fortgezogen. Marcellus’ Söhne, Septimius und Florus, verlassen als junge Männer den Hof, um in Trier ein sichereres Leben zu suchen. Zurück bleiben die Ruinen der Villa und ein paar alte Knechte, die dem Land die Treue halten.

Schließlich, um 400 n. Chr., verlässt die Familie Branonius endgültig die Villa Borg. Das römische Reich wankt dem Untergang entgegen, und in diesen entlegenen Gegenden kann niemand mehr den Bestand einer so großen Anlage aufrechterhalten. Einige Gebäude wurden nach dem Überfall nie wieder vollständig aufgebaut; man bewohnt nur noch Teile des Herrenhauses und haust sonst in den Kellergewölben, um sich vor weiteren Angriffen zu schützen.

Doch nun ist der Entschluss gefallen: Man packt zusammen, was noch zu retten ist – Münzen, Schmuck, ein paar wertvolle Haushaltsgeräte – und zieht weg. Einer Legende nach vergräbt Marcellus einen Teil des Familienvermögens, das nicht getragen werden kann, in einem irdenen Topf unter dem Boden des Tempelschreins im Garten, in der Hoffnung, eines Tages zurückzukehren.

Doch dieser Tag kommt nicht. Mit dem Abzug der Bewohner beginnt die Natur, sich das Gelände zurückzuerobern. Wind und Regen nagen an den einst so stolzen Mauern. Die Dächer stürzen ein, die Holzbalken verrotten. In den leeren Räumen hausen bald Füchse und anderes Wild. Das Klirren von Gelagen, das Lachen der Kinder, selbst der Klang römischer Worte – all das verstummt.

Was bleibt, sind verfallende Mauern, die stumm zum Himmel ragen. Die Statue Jupiters, die einst im Hof stand, wird umgestürzt und von unbekannten Plünderern mitgenommen, vermutlich eingeschmolzen oder zerbrochen. Das Lararium mit den Hausgöttern verstaubt; irgendwann kippt es um, und die Figuren der Laren zerbrechen am Steinboden.

Im Laufe der Jahrhunderte gerät die Villa Borg in Vergessenheit. Die Treverer sind längst romanisiert oder verschwunden, neue Völker strömen ins Land: Franken, Alemannen – sie errichten eigene Dörfer und Burgen. Von der prächtigen Villa erzählen nur noch flüsternde Stimmen am Lagerfeuer, vielleicht eine mündliche Überlieferung, die mit jeder Generation blasser wird. Die Felder rund um Borg werden wieder bestellt, doch niemand ahnt, was unter der Erde schlummert. Möglicherweise entdecken Bauern beim Pflügen hin und wieder Ziegelreste oder seltsam geformte Steine, aber man misst dem kaum Bedeutung zu. Einige Steine der Ruine werden im Mittelalter sogar abtransportiert, um in einer nahegelegenen Kapelle verbaut zu werden – wie es häufig geschieht, dienen römische Ruinen als willkommene Steinbrüche für spätere Bauten.

So vergeht ein Jahrtausend. Aus dem römischen Borg wird ein mittelalterliches Dorf mit eigener kleiner Kirche und hölzernen Häusern, die auf Hügeln errichtet werden – man meidet instinktiv die Senke, wo einst die Villa stand, denn das sumpfige Erdreich (durch die verfallenen Wasserleitungen der Römer aufgeschwemmt) eignet sich schlecht zum Bauen. Stattdessen wachsen dort dichte Brombeerhecken und knorrige Eichen. Manche Dorfbewohner munkeln, an dieser Stelle würden Geister umgehen – die Seelen derer, die einst hier umkamen. Insbesondere in mondlosen Nächten will man aus Richtung der alten Villa seltsame Lichter gesehen haben. Natürlich sind es nur Irrlichter über dem Moor, aber die Legende eines „verfluchten Ortes“ hält sich.

Im 18. und 19. Jahrhundert, als Gelehrte beginnen, sich für die Römer in der Region zu interessieren, geraten auch die alten Geschichten wieder in den Fokus. 1852 notiert ein Pfarrer aus Perl in der Ortschronik, dass in den Wäldern bei Borg Überreste römischer Mauern vermutet werden. Doch niemand unternimmt konkrete Schritte, die Ruinen freizulegen – zu entlegen ist der Ort, zu gering das Interesse in Zeiten, da Kriege und Revolutionen Europa erschüttern.

So schlummert die Villa bis zu jenem Tag im Jahr 1900, als Johann Schneider, der Schullehrer, über die merkwürdigen Hügel stolpert und Ziegel und Keramik findet. Die Welt hat sich erneut verändert: Das Deutsche Reich ist jung und stolz, Kaiser Wilhelm II. regiert, und man legt Wert auf Geschichte und Kultur. Doch die Entdeckung von Johann gerät bald wieder in Vergessenheit, denn die kommenden Jahrzehnte sind unruhig. Der Erste Weltkrieg bricht aus (1914–1918) und reißt auch die Männer aus Borg an die Front. Danach ist das Saarland zeitweise unter Völkerbundverwaltung, dann kommt die nächste Katastrophe: Der Zweite Weltkrieg (1939–1945). In diesen Zeiten hat niemand Ressourcen für archäologische Ausgrabungen in Borg.

Die Ruinen liegen weiterhin still unter dem Erdboden. Bomben und Granaten des Zweiten Weltkriegs verschonen das Gebiet weitgehend – ein Glück, denn so bleiben die antiken Überreste unversehrt. Nur vereinzelte Schützengräben in den Wäldern und eine durch Kettenfahrzeuge gezeichnete Bodenmulde zeugen davon, dass auch hier Soldaten entlanggezogen sind. Nach dem Krieg wird das Saarland erneut verwaltet und schließlich 1957 in die Bundesrepublik Deutschland eingegliedert. In den folgenden friedlichen Jahrzehnten erinnern sich einige Heimatforscher wieder an die alte Villa.




Kapitel 7: Die Wiederentdeckung – Archäologen auf den Spuren der Römer (1987)

Frühling 1987. Auf einer Wiese bei Borg summt ein Motorbagger. Dr. Maria Henze, Archäologin an der Universität des Saarlandes, steht mit Schutzhelm und funkelnden Augen neben der Grabungsstelle. Endlich ist es so weit: Nach fast 100 Jahren seit Schneiders Fund werden nun planmäßige Ausgrabungen durchgeführt (Römische Villa Borg – Wikipedia). Die Landesbehörden haben ein Team abgestellt, um das Gelände systematisch zu erforschen. Der Bagger entfernt vorsichtig die oberste Humusschicht. Bereits nach wenigen Stunden stoßen die Archäologen auf das erste Steinfragment – ein Stück einer Mauer. Maria bückt sich und wischt Erde fort. Zum Vorschein kommt ein Abschnitt römischen Mauerwerks, genau dort, wo Johann Schneider einst gegraben hatte.

Neben Maria kniet Thomas Bauer, ein junger Archäologiestudent, der sein Praktikum auf dieser Grabung absolviert. Er kann kaum glauben, was er sieht. „Schau dir das an, Maria“, sagt er aufgeregt. „Das könnte Teil des Westflügels sein – vielleicht die alte Stallung?“ Maria nickt fasziniert. Sie hat die Überlieferungen und alten Notizen studiert und vermutet ein großes Anwesen. Doch was sie nun nach und nach freilegen, übertrifft ihre Erwartungen.

In den folgenden Wochen kommen die Grundmauern der Villa ans Licht. Stück für Stück zeichnen sich die Umrisse eines gewaltigen Anwesens ab: drei Flügel um einen Hof, wie in den Quellen angedeutet. Man findet Überreste eines Bades – erkennbar an den typischen Ziegelpfeilern des Hypokaustums (der Bodenheizung) und den Trümmern eines Wasserbeckens. Begeistert ruft Thomas eines Tages: „Hier, ein Hypokausten-Ziegel mit Rußspuren!“ Tatsächlich ist der Boden unter dem einstigen Bad schwarz gefärbt – Beleg für Feuerstellen, die das Bad beheizten.

In einem anderen Bereich stoßen die Archäologen auf seltsame Vertiefungen im Boden und viele Scherben. Dr. Maria Henze erklärt: „Das muss die Taverne oder Küche gewesen sein, schau mal, hier sind verkohlte Getreidekörner und Tierknochen.“ Die Funde zeichnen ein Bild vom Alltagsleben: Man entdeckt Keramikscherben von Vorratsgefäßen, eine eiserne Messerklinge, Reste von Glasgefäßen und sogar ein fragmentiertes Metallwerkzeug, das sich als römisches Spargelmesser herausstellt – ein Hinweis darauf, dass die Römer hier bereits Spargel stachen. Diese Entdeckung sorgt für ein Schmunzeln im Team und zeigt, wie detailreich das ländliche Leben gewesen sein muss.

Besonders aufsehenerregend ist der Fund eines Münzschatzes: Unter dem einstigen Fußboden des Tempelschreins – genau dort, wo laut Legende Marcellus seinen Schatz vergrub – findet man einen Keramiktopf mit über hundert römischen Münzen, die meisten davon aus dem 3. Jahrhundert. Maria hält eine Münze vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger ans Licht. Darauf zu erkennen ist das Profil eines Kaisers mit Lorbeerkranz. „Postumus“, liest sie die Inschrift, „IMP C POSTVMVS P F AVG“. Thomas’ Augen weiten sich: „Postumus, der gallische Kaiser! Dieser Hort könnte während der Wirren des Gallischen Sonderreichs vergraben worden sein.“ Die Wissenschaftlerin nickt: Ein Schatz, versteckt wohl um 260 n. Chr., und nie geborgen – bis jetzt.

Doch nicht nur die römischen Schätze kommen ans Licht. Überraschend finden die Forscher unter den römischen Mauern auch Spuren vor-römischer Besiedlung: Pfostenlöcher und Gräbchen, die zu einem keltischen Bauernhof gehören könnten. Zudem tauchen ein paar Feuersteinklingen und Keramikscherben aus der Jungsteinzeit auf. Dr. Henze ist begeistert: „Wir haben hier einen multilayered site – einen Siedlungsplatz, der über Jahrtausende immer wieder genutzt wurde. Von der Steinzeit über die Kelten bis zu den Römern.“

Im Laufe der Ausgrabungen zeichnet sich das Bild der historischen Entwicklung deutlich ab: Ein spätkeltisches Gehöft, darauf in der frühen Kaiserzeit eine Protovilla (Römische Villa Borg – Wikipedia), die später zur Steinvilla ausgebaut wurde. Man findet Reste verschiedener Bauphasen – Fundamentgräben der ersten Holzbauten und die mächtigen Fundamente der Steinbauten. Es wird klar: Die Villa Borg hatte bedeutende Umbauten und Erweiterungen erlebt, bevor sie im späten 3. oder 4. Jahrhundert aufgeben wurde.

Nach einigen Monaten harter Arbeit – es ist nun Herbst 1987 – steht das Grabungsteam im angerauten Gelände und blickt auf das freigelegte Areal. Die Mauern ragen nur knöchelhoch, doch ihre Linien sind unverkennbar. Maria Henze wischt sich Erde von den Händen und lächelt stolz: „Stellt euch vor, hier, wo wir jetzt stehen, war die große Empfangshalle.“ Sie deutet auf eine Fläche: „Dort die Badeanlagen. Da drüben die Wirtschaftstrakte.“ Die Vorstellung erwacht fast zum Leben. Thomas schließt einen Moment die Augen und versucht sich auszumalen, wie es wohl aussah: eine prächtige Villa voller Leben.

Die wissenschaftliche Auswertung beginnt. Pläne werden gezeichnet, Funde katalogisiert. Die Presse interessiert sich für den Fund – Zeitungen schreiben vom „Römischen Pompeji im Saarland“ (etwas reißerisch, doch die Entdeckung ist tatsächlich herausragend). Die Lokalpolitik wird aufmerksam. Diskussionen entstehen: Soll man die Mauern nach den Grabungen wieder zuschütten, um sie zu konservieren? Oder gibt es eine mutigere Vision – Rekonstruktion?

Maria und ihre Kollegen wissen, dass Rekonstruktionen umstritten sind, doch der Befund in Borg ist so gut erhalten und detailliert, dass erstmals die Idee aufkommt, man könne die Villa Borg vollständig wieder aufbauen, um das Leben der Römer anschaulich zu machen. Ein Archäologiepark könnte entstehen, ein lebendiges Museum. Die Vision ist geboren, und sie soll in den kommenden Jahren Gestalt annehmen.




Kapitel 8: Rahmenhandlung – Vom Fund zur Rekonstruktion (1990er Jahre)

Ein kalter Wintertag 1994. Im Sitzungszimmer des Kreishauses Merzig-Wadern knistert ein Kaminfeuer. Draußen hat es geschneit, die Landschaft liegt unter einer weißen Decke – auch die Ruinen der Villa Borg ruhen winterlich verhüllt. Dr. Maria Henze sitzt an einem langen Tisch, umgeben von Beamten, Politikern und Sponsoren. Es ist eine entscheidende Sitzung: Heute soll über das Schicksal der Villa Borg entschieden werden.

An der Wand hängt ein großformatiger Plan: die Grundrisse der Villa, wie sie die Archäologen ermittelt haben. Daneben Künstlerskizzen, wie die Gebäude einst ausgesehen haben könnten – das stattliche Herrenhaus, das Badehaus mit Rauchsäule, das Torhaus. Maria hat die letzten Stunden leidenschaftlich berichtet: von den Funden, der Bedeutung des Ortes, und von der Chance, hier ein einzigartiges Projekt zu wagen. Jetzt herrscht erwartungsvolle Stille.

Schließlich räuspert sich Herr Wollmer, ein Beamter der Kreisverwaltung: „Meine Damen und Herren, ich denke, wir sind uns einig. Die Befunde sind eindeutig und außergewöhnlich. Wir sollten die Rekonstruktion wagen.“ Zustimmendes Gemurmel. „Allerdings“, fährt er fort, „müssen wir das finanzielle Konzept prüfen und Experten hinzuziehen. Es wird sicherlich Jahre dauern und etliche Millionen kosten.“

Ein Politiker mit rundem Gesicht und kleinem Brillenrahmen, Herr Schulze, hebt die Hand: „Wenn wir es richtig anstellen, kann die Villa Borg ein Anziehungspunkt werden – touristisch wie kulturell. Die Straße der Römer-Initiative könnte hier einen weiteren Glanzpunkt erhalten (Römische Villa Borg – Wikipedia). Und wir schaffen Arbeitsplätze.“ Viele nicken. Maria atmet auf. Die Vision nimmt Gestalt an: 1994 wird offiziell beschlossen, die gesamte Anlage gemäß den Befunden zu rekonstruieren.

Was in den folgenden Jahren geschieht, ist ein außergewöhnliches Zusammenwirken von Wissenschaft, Handwerk und Enthusiasmus. Zunächst werden detailgenaue Pläne erstellt. Man stützt sich auf die Grabungsbefunde und vergleicht sie mit ähnlichen Villenfunden in der Region, etwa der römischen Villa von Echternach in Luxemburg (Roman Villa Borg - Wikipedia), oder mit schriftlichen Überlieferungen antiker Autoren wie Vitruv, der über römische Architektur schrieb (Roman Villa Borg - Wikipedia). Architekten, Archäologen und Historiker arbeiten Hand in Hand.

1997 ist es so weit: Die ersten Gebäude erheben sich wieder. Die Taverne und das Villenbad werden als erste rekonstruiert und fertiggestellt. Unter den Augen von Fachleuten mauern Handwerker Original-Steine aus der Ausgrabung in die Wände ein, wo es geht, und ergänzen fehlende Teile mit neuen Ziegeln, die nach antikem Vorbild gebrannt wurden. Ein Festtag für alle Beteiligten ist die Fertigstellung des Bades: Als man den Hypokaustenofen anfeuert und das erste Mal seit fast 1700 Jahren wieder warmer Dampf durch die Caldarium-Wände zieht, stehen Maria Henze und Thomas Bauer – der inzwischen sein Studium abgeschlossen hat und fester Bestandteil des Teams ist – mit Tränen in den Augen da. „Es lebt“, flüstert Thomas ehrfürchtig, als er den Dampf aufsteigen sieht. Tatsächlich: Das römische Bad funktioniert genauso wie einst und demonstriert nun Besuchern die antike Badekultur.

1999 folgt das rekonstruierte Herrenhaus mit musealer Einrichtung. Hierfür wurden spezielle Handwerker engagiert: Zimmerleute, die ohne moderne Nägel, nur mit Holzdübeln, ein stabiles Dachwerk zimmerten; Stuckateure, die nach Vorbild römischer Wandmalerei die Wände verziert haben; Schmiede, die Fenstergitter und Türbeschläge nach Funden aus Borg und anderen Villen fertigen. In die Empfangshalle legen Restauratoren einen Marmorfußboden, teils aus Originalbruchstücken, teils aus neuem, sorgfältig patiniertem Stein. Möbel werden rekonstruiert: hölzerne Tische, Liegen (klinai) fürs Speisezimmer, ein Schreibtisch für das Arbeitszimmer. Viele dieser Stücke basieren auf den archäologischen Funden vor Ort und Vergleichen – z.B. hat man in Borg Reste von Metallbeschlägen gefunden, die zu einer Holzkiste gehörten, und fertigt nun entsprechend eine Truhe. Auch Türen und Fensterläden sind wieder vorhanden, man baut sie aus Eichenholz wie damals.

Maria besteht darauf, dass jedes Detail wissenschaftlich abgestimmt ist. „Wir wollen kein Fantasie-Schloss“, sagt sie immer wieder, „sondern Geschichte zum Anfassen, so authentisch wie möglich.“ Einiges bleibt hypothetisch – etwa die genaue Bemalung der Wände, die im Original verblasst ist. Doch man orientiert sich an fragmentarisch erhaltener Farbe an den gefundenen Putzstücken: In einem Raum entdeckt man winzige Reste von rotem Ocker, vermutlich Teil einer Wandmalerei. So beschließt man, diesen Raum – es könnte das Triclinium, der Speiseraum, gewesen sein – in gedecktem Zinnoberrot zu streichen, mit gemalten Rankpflanzen und Vögeln als Dekor.

2001 ist der dritte Gebäudeflügel fertig: Wohn- und Wirtschaftsbereiche, die die Anlage nach Süden hin komplettieren. Nun steht die Villa wieder in ihrer vollen U-Form da, umschließt den Innenhof, als wäre sie durch eine Zeitmaschine in die Gegenwart versetzt. Das Torhaus wird ebenfalls errichtet, inklusive einer hölzernen Balkenkonstruktion und einem Tor aus Eichenholz, das knarrt, wenn man es öffnet. Die Archäologen platzieren sogar Replikate von römischen Öllampen entlang des Torweges, um abends ein Gefühl von Antike zu vermitteln.

Während der Bauarbeiten werden immer wieder Feste und Römer-Tage veranstaltet. Im August 1997, noch während nur Bad und Taverne standen, organisiert das Team den ersten Römertag: Enthusiasten in Legionärskleidung marschieren über das Gelände, Handwerker zeigen antike Techniken, wie das Schmieden von Schwertern oder das Blasen von Glasgefäßen. Besucher können Wein nach römischem Rezept kosten und in der bereits eingerichteten Taverne Speisen nach Apicius (dem berühmten römischen Kochbuchautor) probieren – das Gasthaus serviert z.B. würziges Huhn mit Datteln, wie es ein römischer Feinschmecker geschätzt hätte.

Thomas Bauer – mittlerweile Dr. Bauer – führt als Gästeführer eine Gruppe durch das entstehende Herrenhaus. „Hier sehen Sie die Hypokausten-Heizung unter dem Fußboden des Bades“, erklärt er und deutet auf die kleinen Säulen unter dem Gitter im Boden, „heiße Luft zirkulierte hier, um den Boden zu wärmen.“ Die Besucher – Kinder und Erwachsene gleichermaßen – staunen. Einige Jungen recken die Hälse, als draußen ein als Centurio verkleideter Darsteller mit dröhnender Stimme Kommandos gibt und die Legionäre exerzieren lässt. Das Konzept des lebendigen Museums geht auf: Menschen kommen in Scharen, um die fortschreitende Rekonstruktion zu sehen.

Natürlich gibt es auch skeptische Stimmen. Einige Fachleute hatten gewarnt, dass eine solche vollständige Rekonstruktion die originalen Reste überbauen und womöglich verfälschen könnte. Doch man hat vorgesorgt: Alle originalen Fundamente wurden konserviert und bleiben unter den neuen Mauern unversehrt (Roman Villa Borg - Wikipedia). Die neuen Mauern stehen exakt auf den alten, und an manchen Stellen hat man kleine Sichtfenster aus Glas im Boden eingelassen, durch die Besucher auf die originalen Grundmauern schauen können – ein Kompromiss zwischen Anschauung und Bewahrung.

So wächst die Villa Borg wieder zu neuem Leben heran. Bis 2008 dauern die letzten Arbeiten (wie die Fertigstellung einer römischen Küche und weiterer Nebengebäude). Über zwei Jahrzehnte nach dem Start der Ausgrabungen erstrahlt nun eine einzigartige Anlage: Ein ganzer römischer Gutshof, auferstanden aus Ruinen, steht für Besucher offen.

Dr. Maria Henze, inzwischen grauhaarig, steht 2008 zur Einweihung des letzten Bauabschnitts im Innenhof. Sie erinnert sich an den ersten Spatenstich und an den Traum, den sie und andere geträumt hatten. Nun ist es Realität. Sie schließt einen Moment die Augen. Im Sommerwind hört sie fast die Echos der Vergangenheit – das Lachen von Lucius Branonius’ Kindern, den Hammer des Schmieds Septimus, das Schnauben der Pferde und das Murmeln der Gebete Livias am Hausaltar. Als sie die Augen öffnet, sieht sie Touristen mit Sonnenhüten, die begeistert fotografieren, und Kinder, die neugierig an den Steinen entlanglaufen. Maria lächelt. Die Vergangenheit und die Gegenwart reichen sich hier die Hand.




Kapitel 9: Die Villa lebt – Vergangenheit in der Gegenwart

Gegenwart, ein Frühlingstag im 21. Jahrhundert. Die Römische Villa Borg erwacht an einem frühen Morgen, so wie sie es vor 1800 Jahren tat – doch diesmal im 21. Jahrhundert. Das Sonnenlicht breitet sich über den gepflegten Rasen des Innenhofs aus. Angela Wagner, eine Museumsführerin in römischer Tunika, schließt die hölzernen Torflügel auf. Knarrend geben sie den Blick frei auf das rekonstruierte Anwesen. Alles ist still; noch sind keine Besucher da. Angela schreitet durch den Hof und begrüßt die Villa wie eine alte Freundin. Sie hat jahrelang hier gearbeitet und kennt jede Geschichte, jeden Stein.

In der modernen Taverne klirren Töpfe – der Wirt, in historischer Kleidung, bereitet bereits nach römischen Rezepten gewürzten Wein und Brot mit Olivenpaste für die Gäste vor. Eine Katze sonnt sich auf der Schwelle der Küche, als wäre sie die Wiedergeburt einer römischen Hauskatze aus alter Zeit.

Kurz darauf treffen die ersten Besucher ein: eine Schulklasse aus Saarbrücken. Die Kinder tuscheln aufgeregt, als sie durch das Tor gehen. Für viele ist es der erste Besuch in einem archäologischen Park. Angela versammelt sie im Hof. „Salvete!“ begrüßt sie die Gruppe mit lachender Stimme – Latein für „Seid gegrüßt“. Die Kinder kichern und antworten zögerlich: „Salve…?“ Sie sind sich unsicher, doch Angela beruhigt sie: „Keine Angst, ich erklär’s euch auch auf Deutsch.“

Sie beginnt die Führung. Zuerst stehen sie vor dem Herrenhaus. Angela zeigt auf die strahlend weiße Fassade. „Dies hier ist der rekonstruierte Wohntrakt der Villa. Genauso – oder sehr ähnlich – könnte er im 2. Jahrhundert ausgesehen haben.“ Sie führt die Gruppe hinein in die große Empfangshalle. Ein leises „Wow“ geht durch die Reihen der Schüler, als sie den hohen Raum mit dem Marmorboden betreten. An den Wänden hängen Reproduktionen römischer Portraits, auf einem Tisch liegen nachgemachte Schriftrollen. In einer Ecke steht eine Glasvitrine mit einigen Originalfunden: Keramikscherben, eine Münze, ein bronzener Fibelschmuck. „Das hier haben Archäologen bei der Ausgrabung gefunden“, erklärt Angela und deutet auf die Objekte. Die Kinder drängen näher. Ein Mädchen hebt die Hand: „Wer hat die Münze gemacht?“ Angela lächelt: „Wahrscheinlich ein römischer Prägehandwerker, vor fast 2000 Jahren. Sie zeigt Kaiser Postumus – erinnert ihr euch? Der, der ein eigenes Reich in Gallien gegründet hatte.“ Einige Kinder nicken, andere runzeln die Stirn – Geschichte kann verwirrend sein. Aber als Angela erzählt, dass dieser Kaiser in Trier residierte, gar nicht weit von hier, horchen sie auf. Plötzlich ist Geschichte greifbar nahe.

Weiter geht es ins Bad. Hier ist es kühler und halbdunkel. Angela hat eine Überraschung vorbereitet: Sie hat mit dem Techniker abgesprochen, dass das Hypokaustensystem kurz angeworfen wird. So stehen die Kinder im Caldarium und spüren plötzlich Wärme vom Boden aufsteigen. „Stellt euch vor“, sagt Angela, „genauso fühlte es sich für die römischen Bewohner an, wenn sie baden gingen. Warm wie in einer Sauna!“ Die Augen der Kinder leuchten – einige recken die Hände nach unten, um die Fußbodenwärme zu fühlen.

Im Garten hinter dem Haus duftet es nach Kräutern.

Angela erklärt die Pflanzen: „Hier wächst zum Beispiel römische Minze, dort drüben seht ihr einen alten Rosmarinstrauch. Die Römer nutzten viele dieser Kräuter zum Kochen und als Medizin.“ Ein Junge zupft verstohlen ein Blättchen und reibt es zwischen den Fingern – erstaunt schnuppert er daran und flüstert: „Das riecht ja wie in der Küche von meiner Oma!“ Die Gruppe lacht. Geschichte verbindet sich mit dem Alltag.

Am Ende der Führung stehen sie wieder im Innenhof. Angela verabschiedet die Schulklasse, die nun im Souvenirshop – einst wohl die Scheune – noch Andenken kauft: kleine römische Münznachbildungen, Postkarten mit Bildern der Villa, vielleicht das Jugendbuch „Das Geheimnis der Villa Borg“, das ein Autor über diesen Ort geschrieben hat.

Als die Sonne höher steigt, füllt sich die Villa mit weiteren Gästen: Touristen aus aller Welt. Man hört Französisch, Englisch, Niederländisch – die Villa Borg ist ein beliebtes Ausflugsziel, rund 50.000 Besucher im Jahr kommen hierher. Darunter auch Wissenschaftler: An einem Tisch in der Taverne sitzt ein Archäologenteam aus den Niederlanden, das sich für die römische Glasproduktion interessiert. Sie tauschen sich mit den hiesigen Experten aus, denn hier vor Ort hat man erfolgreich antike Glasbläserei rekonstruiert.

Im Schmiedebereich demonstriert heute ein Handwerker, wie man mit Holzkohlefeuer und Blasebalg Eisen schmiedet – genau wie in römischer Zeit. Eine Gruppe fasziniert zuschauender Väter und Söhne applaudiert, als der Schmied ein glühendes Eisenstück in Wasser taucht und zischender Dampf aufsteigt.

Am späten Nachmittag, nachdem alle Besucher gegangen sind, kehrt Ruhe ein. Die letzten Sonnenstrahlen tauchen die rekonstruierten Mauern in honiggelbes Licht. Sebastian, der Leiter des Villa-Borg-Parks, schließt das Tor. Im abschließenden Rundgang kontrolliert er noch einmal die Räume.

Im Herrenhaus bleibt er stehen und schaut über die leere Empfangshalle. In Gedanken versunken stellt er sich vor, wie an diesem Ort vor langer Zeit Lucius Branonius gestanden haben mag, vielleicht am Abend vor einem Fest, zufrieden mit dem Tagwerk. Sebastian spürt einen gewissen Stolz, Teil dieser langen Geschichte zu sein.

Draußen im Garten raschelt etwas – wahrscheinlich ein Igel auf seinem abendlichen Streifzug. Die Sterne zeigen sich bereits. Sebastian tritt vor das Haus und blickt hinauf.

In einer klaren Nacht wie dieser sind dieselben Sterne zu sehen, die auch die Römer sahen. Vielleicht hat einst Aislin, die keltische Ahnherrin, unter diesem Himmel gestanden, voller Fragen, als die Römer kamen.

Vielleicht hat Livia hier gestanden und für ihre Familie gebetet, als die Welt unsicher wurde. Und jetzt steht er, ein Mensch der Gegenwart, an derselben Stelle.

Die emotionale Tiefe dieses Augenblicks ergreift ihn. Es ist, als wären all die Schicksale – Aislin, Bran, Lucius, Marcellus, Maria Henze, all die Namenlosen – in diesem einen Ort vereint. Die Villa Borg ist mehr als nur ein Museum. Sie ist ein Knotenpunkt der Zeit, an dem Vergangenheit lebendig bleibt und die Gegenwart sich ihrer Wurzeln besinnt.

Sebastian schließt die Augen und hört in der Stille ein Flüstern – ob es der Wind ist, der durch die Arkaden zieht, oder die Geister der Vergangenheit, die zufrieden auf ihr wiedererwecktes Zuhause blicken, vermag er nicht zu sagen. Er lächelt, dreht sich um und verlässt den Hof, schließt das Tor hinter sich.

Über der Villa Borg senkt sich die Nacht. Die Mauern, alt und neu zugleich, ruhen im Mondlicht.

In ihnen wohnen die Geschichten von zweitausend Jahren – von Aufstieg und Blüte, von Zerstörung und Vergessen, und schließlich von Wiedergeburt.

Und so endet unsere Reise durch die Zeiten an diesem Ort, der beweist, dass Geschichte nicht vergeht, sondern darauf wartet, von uns wiederentdeckt zu werden – Stein um Stein, Geschichte um Geschichte.

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